Eintracht Frankfurt: Angekommen im Reich der Könige

Eintracht Frankfurt steht vor einer Saison der großen Herausforderungen, gerade die erstmalige Teilnahme an der Champions League sorgt im Herzen von Europa für Verzückung.
Europa-League-Triumph hin oder her: Für den ersten Platz hat es für Oliver Glasner nicht gereicht. Für Kevin Trapp auch nicht. Und für Filip Kostic erst recht nicht. Doch Grund, Trübsal zu blasen, ist das gewiss nicht. Denn die Eintracht-Abordnung darf sich trotzdem ausgezeichnet fühlen. Im doppelten Sinne. Denn in der vom Fachmagazin „Kicker“ organisierten Wahl zum Spieler/Trainer des Jahres haben die Frankfurter nicht schlecht abgeräumt. Bei den Fußballlehrern entfielen 133 Journalistenstimmen auf Oliver Glasner, er musste nur dem Bundesliga-Dino Christian Streich den Vortritt lassen (276), der für die hervorragende Saison des SC Freiburg (Europa-League-Quali, DFB-Pokalfinale), aber sicherlich auch für seine Lebensleistung geehrt wurde.
Und bei den Spielern landete Torwart Trapp mit 65 Stimmen hinter Sieger Christopher Nkunku (134) und Weltfußballer Robert Lewandowski (128) auf Rang drei. Eine erstaunliche Positionierung, aber eine verdiente. Der 32-Jährige ist der zurzeit wohl bester deutscher Keeper, finden nicht nur die Eintracht-Fans mit ihrem frischen Evergreen: „Neuer auf die Bank“. Filip Kostic rundet das schöne Gesamtbild mit 28 Stimmen auf Rang sieben ab. Erst kürzlich war der Serbe als bester Spieler der Europa League geadelt worden. Ehre, wem Ehre gebührt.
Nun gibt es keine zwei Meinungen, dass die Eintracht-Belegschaft eher nicht auf den vorderen Plätzen gelandet wäre, wenn sie nicht in der magischen Nacht von Sevilla am 18. Mai die Europa League im Handstreich gewonnen hätte. 13 Spiele im Wettbewerb, keine Niederlage, den ruhmreichen FC Barcelona auf Normalmaß gestutzt und in Camp Nou gedemütigt. Keiner hatte den Cup so verdient wie diese Eintracht-Mannschaft, die durch eine herausragende Taktik, unbändigen Willen, eiserne Mentalität und eine bemerkenswerte Symbiose mit den Fans das Unmögliche möglich machte.
Irgendwann spürten sie bei der Eintracht, dass dieser Titel keine Utopie mehr, sondern im Bereich des Möglichen liegen würde. Sie ordneten alles dem großen Ziel unter, und Coach Glasner, der Architekt des Erfolges, baldowerte eine Spielweise aus, die den europäischen Kontrahenten so gar nicht schmeckte. „Wir haben die richtige Taktik gefunden“, blickte dieser Tage Großmeister Makoto Hasebe zurück. „Jeder wusste, was zu tun ist, wenn der Gegner den Ball hatte; jeder wusste, was zu tun ist, wenn wir den Ball hatten“, sagte der Routinier. „Wir hatten eine klare Idee und haben sie alle gemeinsam umgesetzt.“ Bis zur letzten Sekunde im Glutofen von Andalusien.
Zur Wahrheit gehört aber auch: In der Bundesliga verfing das nicht. Elfter Platz, trübe Auftritte gerade gegen die Kleinen und Beladenen, kaum Heimsiege, viel Krampf und Gerumpel – nein, das hätte die Hessen eher nicht auf die vorderen Plätze bei irgendwelchen Simply-the-Best-Wahlen katapultiert.
Doch seit jener spanischen Nacht ist nichts mehr, wie es einmal war. Der historische Erfolg, der erste auf internationalem Terrain seit 1980, ist ein Meilenstein für den Klub, er hievt die Eintracht in andere Sphären. Finanziell hat er geholfen, den immensen Verlust durch die Pandemie (fast 80 Millionen Euro) aber doch abzufedern.
Wer mit gebotenem Abstand und kühlem Kopf zurückblickt in den Mai, der erahnt erst jetzt in etwa, was auf dem Spiel stand im Finale gegen die Rangers, das ja auf des Messer Schneide stand und das der Ausnahmetorwart Kevin Trapp mit zwei Paraden vom anderen Stern zu Gunsten der Eintracht kippen ließ. Es ging um alles und wirklich nichts, die Fallhöhe war exorbitant hoch. Hätte Glasgow das bessere Ende für sich gehabt, hätte die Eintracht buchstäblich mit leeren Händen dagestanden: kein Titel, kein Pokal, keine massiven Mehreinnahmen, kein Glanz und Gloria. „Verlieren wir das Finale, sind wir Elfter in der Liga, kein internationaler Wettbewerb, nichts“, fasst Sportvorstand Markus Krösche zusammen. Und jetzt? „Jetzt spielen wir Champions League.“

Die Königsklasse ist für den Klub aus dem Herzen von Europa das Maß aller Dinge, die erstmalige Teilnahme offenbart ungeahnte Möglichkeiten. Ganz Frankfurt wird am 25. August nach Istanbul blicken, wenn die Gruppenphase bestimmt wird, die Eintracht wird als Europa-League-Champion in Lostopf eins stecken, den meisten ganz dicken Brocken also aus dem Weg gehen können.
Wäre die Eintracht vor gut zweieinhalb Monaten leer ausgegangen, wäre nicht nur die Champions League obsolet, keiner müsste heute mehr rätseln, ob Spieler wie Filip Kostic, Evan Ndicka oder Daichi Kamada den Verein verlassen oder vielleicht doch in Frankfurt bleiben. Mindestens zwei der drei Leistungsträger, wenn nicht alle, hätten schon das Weite gesucht. Wetten, dass...?
Zufall ist die Gesamtentwicklung nicht, die Frankfurter standen in den vergangenen sechs Jahren in fünf Halbfinals und drei Endspielen – zwei davon haben sie gewonnen. 2018 gegen die Bayern, 2022 gegen Glasgow. Philipp Reschke, erst kürzlich in den Rang des Vorstands gehoben, sieht die guten Personalentscheidungen als ausschlaggebend – und die Relegation 2016. „Wir sind damals dem Teufel von der Schippe gesprungen und haben die richtigen Lehren gezogen“, sagt der 49-Jährige: „Dafür war Niko Kovac mitentscheidend, er hat als Trainer eine andere Mentalität reingebracht in den Klub.“
Die Eintracht hat vieles richtig gemacht in den letzten Jahren, sie ist nach dem Fast-Abstieg aufs richtige Gleis gesetzt worden – auf allen Ebenen. Fredi Bobic, als Nachfolger von Heribert Bruchhagen geholt, baute ohne großartige finanzielle Mittel eine schlagkräftige Truppe und schaffte Werte. Trainer Adi Hütter führte das fort, was Niko Kovac begonnen hatte – Oliver Glasner vollendete.
Eintracht Frankfurt: Überzeugender Auftritt in Magdeburg
Und die Klubführung schaffte es, mit seismographischem Gespür für Schwingungen und Stimmungen den Verein sogar halbwegs unbeschadet durch die pandemiebedingten Krisenzeiten zu führen. Die rasante Entwicklung wurde im März 2020 zwar abrupt aufgehalten, aber nur unterbrochen - selbst wenn die finanzielle Lage angespannt ist. Das größte Pfund des Klubs ist sicher die Kontinuität auf wichtigen Positionen im Führungszirkel und die daraus erwachsene innere Stabilität. Sie gibt Sicherheit und ist ein Wachstumsfaktor, die Eintracht entfaltet erstaunliche Wucht und Kraft.
Und sie erfährt durch den Triumph in Sevilla eine ganz andere Wertschätzung, sie ist angesagt und trendy. „Wir merken es Tag für Tag“, sagt Sportvorstand Markus Krösche, „wir werden überall als Europapokalsieger angekündigt. Die Wahrnehmung hat sich total verändert.“
Verwunderlich wäre es auch nicht weiter, wenn man den Frankfurter Protagonisten noch den roten Teppich ausrollen würde. Ein FR-Reporter bedeutete Coach Glasner kürzlich scherzhaft, dass man das Gefühl haben könne, dass die Eintracht auch den Klimawandel stoppen oder für den Weltfrieden sorgen könne.
Das birgt, ganz klar, auch Gefahren. Es ist nur menschlich, im Unterbewussten ein bisschen herunterzufahren oder es sich etwas bequemer einzurichten als vorher, wenn man etwas Großes erreicht hat und überall hofiert wird. Jedoch: Zumindest beim Auftakt im Pokal in Magdeburg wirkte die Mannschaft nicht, als labte sie sich am Erfolg der Vergangenheit. Beim 4:0-Sieg trat sie konzentriert auf, bissig und höchst motiviert. Diese Einstellung wird das Team konservieren müssen, um die vielen Herausforderungen meistern zu können.
„Unser Prestige ist ein anderes, die Herangehensweise der Gegner wird sich ändern“, glaubt Manager Krösche. Die Kontrahenten würden sich gezielter vorbereiten, besser auf die Eintracht einstellen. „Ihre Motivationslage ist eine andere.“ Diese Auffassung teilt Marathonmann Djibril Sow: „Jeder will den Europa-League-Sieger schlagen. Darauf müssen wir uns einstellen.“ Ein Anfang ist gemacht. Magdeburg ist war zwar kein Gradmesser, aber hatte Stolperstein-Potenzial. Diese Hürde hat die Eintracht genommen. Es folgen höhere. Man darf gespannt sein.