Ein Falke in seinem Horst

Ralf Falkenmayer, der stillste Bälleklauer von Eintracht Frankfurt, wird 60 Jahre alt.
Es ist bald 30 Jahre her, dass Ralf Falkenmayer dieses eine und entscheidende Tor geschossen hat, das die Eintracht seinerzeit ins Viertelfinale des Uefa-Cups brachte. Aber der „Falke“ kann sich noch gut an den Hexenkessel erinnern: Ralf Weber hatte den Ball durchs Mittelfeld getrieben, auf links gepasst zu Dirk Wolf, die Flanke in den Rückraum kam, der Ball hoppelte ein wenig, doch der Falke schoss die Kugel aus zehn, elf Metern ins Tor. Zehn Minuten der zweiten Halbzeit waren gespielt, es sollte nichts mehr schiefgehen, nach einem 1:0 im Hinspiel waren die Hessen eine Runde weiter. Ausgerechnet Falkenmayer hatte getroffen, ein Torjäger war er ja nicht, nach 385 Bundesligaspielen stehen 37 Tore in der Bilanz. Der Gegner übrigens seinerzeit im turbulenten Winter 1994: SSC Neapel.
„Aber die waren damals nicht so gut wie heute“, sagt Schütze Falkenmayer. Ein paar Gute waren trotzdem dabei, Freddy Rincon zum Beispiel, der kolumbianischer Nationalspieler, oder Fabio Cannavaro, später Weltmeister, auf Frankfurter Seite waren Tony Yeboah und Jay-Jay Okocha am Ball, Manfred Binz, Jan Furtok, Andreas Köpke, Thorsten Legat und Trainer war Jupp Heynckes. Die Spiele gegen Neapel fielen übrigens in eine Woche, die in Frankfurt einem Beben ähnelte, es war genau zu dem Zeitpunkt, als Heynckes die drei Topstars Yeboah, Okocha und Maurizio Gaudino suspendierte. Im Hinspiel in Frankfurt spielten Yeboah und Okocha noch, im Rückspiel am Fuß des Vesuv schon nicht mehr. Lang ist es her. Ralf Falkenmayer war damals 31, ein gestandener Profi, vierfacher Nationalspieler – am diesem Samstag wird der Falke, man glaubt es kaum, 60 Jahre alt. „Ja, die Zeit geht ratz-fatz rum“, sagt Falkenmayer, raspelkurze, graue Haare und längst Opa von drei Enkelkindern, und das jüngste, Valentino, fährt er leidenschaftlich gern mit dem Kinderwagen durch Bergen-Enkheim.
Das Leben des Ralf Falkenmayer ist ein ruhiger Fluss. Nach wie vor arbeitet er als Lagerist, auch wenn Knie und Gelenke manchmal ächzen. Er hat sich schon länger aus dem Fußball zurückgezogen, geht kaum noch ins Stadion, am liebsten ist er zu Hause, die Familie hat absolute Priorität, die Enkelkinder, die beiden erwachsenen Töchter, natürlich die Gattin Antonietta, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist. Auch der Kontakt zur Eintracht ist spärlich geworden, seit einem unschönen Krach vor bald einem Vierteljahrhundert.
Nun ist es nicht so, dass Falkenmayer früher ein Lautsprecher gewesen wäre. Genau das Gegenteil: Er ist und war ein leiser, zurückhaltender, eher schüchterner, bescheidener Zeitgenosse, der nichts mehr hasst als im Rampenlicht zu stehen oder dass großes Aufhebens um seine Person gemacht wird. Seinen Ehrentag will er im kleinen Kreis bei einem Essen feiern, kein großes Brimborium.
1992 in Rostock am Ball
Dabei war Ralf Falkenmayer auf dem Feld ein Großer, einer, der Bälle klaute, nicht mit der brachialen Grätsche, sondern mit Gewitztheit, Raffinesse und Auge, flink war er, der schmächtige, zierliche Spieler mit Lockenpracht und dem feinen linken Fuß. Kicken konnte er nämlich auch noch, konnte Pässe in die Gasse spielen. Er war ein filigraner Sechser, der den Spielmachern den Rücken frei hielt, meist Uwe Bein oder Andreas Möller, aber auch Bernd Nickel oder Jürgen Mohr. 16 Jahre spielte er bei der Eintracht, von 1980 bis 1996 (und einer zweijährigen Unterbrechung bei Bayer Leverkusen), die Stutzen stets bis auf die Knöchel heruntergerollt. Falkenmayer war ein Dauerläufer, niemals müde, er war bienenfleißig, immer unterwegs auf der Suche nach dem Ball. Und er war schlau, konnte Antizipieren, stand oft genau dort, wo der Ball hinkam. Ein bisschen war er seiner Zeit voraus, ein reiner Zerstörer war er nicht, zuweilen trat er als verkappter Spielmacher auf.
Einmal nur, für zwei Jahre kehrte der bodenständige gelernte Schwimmmeistergehilfe seiner Heimatstadt den Rücken zu, er wechselte 1987 zu Bayer Leverkusen, wo er zwar mit der Werkself den Uefa-Cup 1988 gewann - nach wie vor der bislang einzige internationale Titel der Leverkusener - , aber nicht glücklich wurde. Und das lag nicht daran, dass er im entscheidenden Elfmeterschießen der einzige Leverkusener Spieler war, der im Finale gegen Espanol Barcelona seinen Elfmeter verschoss. Er hat sich dafür fast geschämt. Und kehrte bald zurück. Natürlich war er gleich wieder gesetzt bei der Eintracht, klaute Bälle wie eh und je und er war etwa in der berühmten Saison 1991/92 (Rostock!) mehr oder weniger neben Uwe Bindewald und Dietmar Roth der einzige Defensivspieler im Team der abgestürzten Himmelsstürmer.
Nach der Karriere, die nach einem Knöchelbruch bei seinem letzten Klub Eintracht Trier 1998 endete, war Falkenmayer weiter am Ball, ein paar Klassen tiefer, als Spielertrainer beim Bezirksligisten SV Niederursel, seinem Heimatverein. Von 2003 bis 2010 leitete er, zuweilen auf roter Asche, die Freizeitfußballer an und als Not am Mann war, zog er, mit 41, auch noch im Mittelfeld die Fäden. Dann war endgültig Schluss und der Falke zog sich zurück in seinen Horst.