Vor dem Wolfsburg-Spiel: Die Eintracht sucht sich selbst
Wohin führt der Weg des Frankfurter Europa-League-Siegers? Die Stimmung ist nach den jüngsten Pleiten gedämpft – die Partie in Wolfsburg könnte zum Prüfstein werden
Frankfurt – Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass sich Eintracht Frankfurt bestens damit auskennt, selbst ganz formidable Ausgangslagen noch leichtfertig zu verspielen. Die zweiten Saisonhälften sind nicht so das Ding der Hessen, da reißen sie sich in unschöner Regelmäßigkeit all das ein, was sie sich in mühevoller Schwerstarbeit zuvor aufgebaut haben.
Traditionellerweise bauen Frankfurter Mannschaften nach der Winterpause ab, das war unter fast allen Trainern und mit wechselndem Personal auf dem Rasen so. Weshalb das so ist, kann niemand abschließend und seriös beantworten. Ein paar Indikatoren gibt es freilich: Mal war die Mannschaft nicht fit (unter Michael Skibbe, Armin Veh), mal ausgequetscht wie eine Zitrone (Niko Kovac), mal Opfer des intensiv-brachialen Spielstils (Adi Hütter). Vielleicht ist es aber einfach nur eine unglückliche Verkettung. Oder: Zufall. Vielleicht auch nicht.

Eintracht Frankfurt kennt Einbrüche in der Rückrunde
Die Mutter aller Einbrüche war sicher die „Rückrunde der Schande“, als das Team brutal abstürzte, von Platz sieben auf 17 und zum bis dato letzten Mal abstieg. Das war 2011. Seitdem ging es bergauf, bis in die Champions League in dieser Saison. Die Unbeständigkeit im neuen Jahr aber blieb stets gleich. Vor zwei Jahren etwa verspielte das Team unter Adi Hütter trotz eines Sieben-Punkte-Vorsprungs auf Borussia Dortmund auf den letzten Metern noch die Champions League. Damals gab es aber auch eine Menge hausgemachter Querelen - an der Spitze natürlich die unglückliche Moderation um die Abgänge der kompletten Sportlichen Führung um Fredi Bobic und Adi Hütter.
Erfolg für den Briefkopf bei Eintracht Frankfurt
Selbst unter Erfolgstrainer Oliver Glasner hat sich an diesem Phänomen in der Vorsaison der Bundesliga nichts geändert, dabei hat sich unter dem 48 Jahre alten Österreicher doch so einiges verändert. Der Briefkopf zum Beispiel. Da steht jetzt: Europa-League-Sieger 2022. Aber im Brot- und Buttergeschäft schaffte es Glasner nicht, einen Einbruch zu verhindern. Von Rang sechs ging es runter auf elf, was damals niemand so wirklich störte. Siehe: Briefkopf.
Und in diesem Jahr?
Die Stimmung in Frankfurt ist gerade mal wieder etwas gedämpft. Die deutliche Unterlegenheit im Champions-League-Achtelfinalhinspiel gegen Neapel (0:2) drückt gewaltig aufs Gemüt und mündete in der folgenden 1:2-Schlappe am Samstag bei RB Leipzig. Gerade im ersten Durchgang präsentierte sich die Mannschaft merkwürdig lethargisch und so gar nicht Eintracht-like. Neapel hat Wirkung hinterlassen.
Kann Glasner bei Eintracht Frankfurt das Ruder wieder herumreißen?
Die Frage wird nun sein, wie und ob es Oliver Glasner schafft, sein Ensemble wieder aufzurichten und aufs Gleis zu setzen, wie er die keimende Unruhe um wechselwillige Spieler (die FR berichtete) im Zaum halten und die Spieler wieder zu erhöhter Leistungsstärke führen kann. In diesem Jahr läuft es generell noch nicht so wirklich rund, obwohl die Sportliche Leitung im Januar die Sinne aller schärfte, eindringlich appellierte, nur jetzt nicht nachzulassen und in Selbstzufriedenheit zu verfallen. An einer klaren Ansprache und einem ebensolchen Fokus liegt es also nicht, und dass Sportvorstand Markus Krösche die abermalige Champions-League-Teilnahme als Ziel ausrief, ist sicher auch kein Fehler, sondern nach Platz vier zu Weihnachten nur zwingend logisch. Keine Alibis. Ein Abrutschen wie vor Jahresfrist soll tunlichst vermieden werden. Das Team soll liefern. Auch das wird als Teil der Entwicklung gesehen: Mit gestiegenen Anforderungen und Erwartungen klarkommen - und sie erfüllen.
Die Mannschaft aber hat noch nicht an ihre herausragende Form aus dem Herbst anknüpfen können, sie sucht sich irgendwie selbst gerade. Zu viele Spieler leiden, aus unterschiedlichen Gründen, unter zu starken Leistungsschwankungen, und natürlich haben sich die Gegner besser auf die Eintracht eingestellt, den Spielstil dechiffriert. Die passende Antwort fehlt da zuweilen.
Leistungen stimmen bei Eintracht Frankfurt 2023 nicht
In der Summe hat die Eintracht in 2023 nur ein weitgehend überzeugendes Spiel abgeliefert, das war beim 1:1 in München, als die Frankfurter dem Sieg im zweiten Abschnitt deutlich näher waren als der Rekordmeister. Ansonsten aber waren selbst die Erfolge gegen Schalke 04, Hertha BSC und Werder Bremen glanzlos. Zwischenzeitlich rief das gar Manager Krösche auf den Plan, der eine gewisse Nachlässigkeit festgestellt haben wollte. Nicht zu Unrecht. Ganz offenkundig. Auch im Pokal hatte die Eintracht Mühe gegen Darmstadt 98, lag zwischenzeitlich gar mit 1:2 hinten, ehe sie das Ergebnis korrigieren und ins Viertelfinale einziehen konnte. Unübersehbar waren aber schon da die vielen leichten individuellen Fehler, die sich wie ein roter Faden durch die Rückserie ziehen. Mit bekannten, unangenehmen Folgen.
Andererseits ist noch gar nichts Dramatisches passiert, die Eintracht hat jetzt nur einen Punkt weniger geholt als zum vergleichbaren Zeitpunkt der Hinrunde (acht) – und wenn sie am Sonntag in Wolfsburg gewinnen sollte, hätte sie sogar zwei Zähler mehr, denn das Hinspiel gegen die Niedersachsen vergeigten die Hessen nach indiskutabler Vorstellung, die 0:1-Pleite war aber auch so etwas wie der Wendepunkt: Anschließend ging es bergauf.
Eintracht Frankfurt sollte Rang sechs absichern
Die Partie am Mittellandkanal wird für die Frankfurter zum Prüfstein, sie müssen Farbe bekennen. Wird schwer genug gegen Ex-Coach Kovac. Es steht einiges auf dem Spiel, es ist ein Wegweiser. Tabellarisch, aber auch und gerade atmosphärisch. Und es ist eine Begegnung, die man als eine Art der Besitzstandswahrung bezeichnen könnte, da geht es dann um die Absicherung des Europapokalplatzes. Bei einem Dreier wäre die Eintracht acht Punkte vor dem VfL. Das ist ein gutes Polster. Bei einer Niederlage wären es freilich nur noch zwei Zähler. Dann würde das große Zittern beginnen.
Alles andere als Rang sechs wäre nach dieser Vorrunde eine Enttäuschung, die Platzierung sollte als Minimalziel angestrebt werden, zumal sie unter normalen Umständen (ein Spitzenverein gewinnt auch den DFB-Pokal) für einen Startplatz in der Europa League reicht. Ein Wettbewerb, der den Frankfurtern ja nicht ganz unlieb ist. Auch die Champions-League-Ränge hat die Eintracht noch nicht aus den Augen verloren, aber schwer wird das in der jetzigen Form und der Konstellation allemal, schließlich ist Union Berlin trotz der deutlichen 0:3-Niederlage am Sonntag in München sehr stabil, RB Leipzig und vor allem Borussia Dortmund haben einen Lauf, der nicht zu enden scheint. Und die Bayern? Nun ja, die werden die Frankfurter wohl eher auch nicht einholen. (Ingo Durstewitz)