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Eintracht Frankfurt: Ab in die Königsklasse

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Von: Thomas Kilchenstein, Daniel Schmitt, Ingo Durstewitz

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Jubelnd - so wollen die Frankfurter Fußballer sich sehen.
Jubelnd - so wollen die Frankfurter Fußballer sich sehen. © AFP

Jahrhundertspiele, Stolpersteine oder die große Langeweile: Was für Eintracht Frankfurt noch drin ist in dieser Saison - die FR gibt Antworten auf die großen Fragen zum Saisonfinale

Frankfurt – Ab sofort beginnt die heiße Phase, mit dem Heimspiel am Samstag gegen den Letzten aus Fürth leitet Eintracht Frankfurt den Endspurt der Saison ein. Mindestens neun Pflichtspiele stehen bis Mitte Mai auf dem Programm – sechs Wochen, in denen sich alles entscheidet.

„Jedes Spiel ist ein Endspiel“, sagt Trainer Oliver Glasner. Doch ist die Eintracht gewappnet für den Schlussakkord? Was ist noch drin in der Bundesliga? Droht die große Langeweile oder geht es nach Europa? Und welche Rolle spielen die beiden Jahrhundertspiele gegen den FC Barcelona? Die FR gibt Antworten auf drängende Fragen.

Ist der FC Barcelona also jetzt das nächste Opfer?

Vielleicht ist diese Frage einen Hauch zu provokant gestellt. Aber im Fußball hat jede Mannschaft eine Chance, mag sie auf den ersten Blick auch noch so klein sein und angesichts der Demonstration der Stärke im spanischen Clasico vor Wochenfrist eigentlich mikroskopisch. Aber jedes Spiel muss gespielt werden, um eine Herbergersche Weisheit zu zitieren. Auf dem Papier hat Barça, Marktwert 679 Millionen Euro, auch ohne Lionel Messi zweifellos eine Weltklassemannschaft beisammen: ter Stegen, Busquets, Dani Alves, Frenkie de Jong, Ferran Torres, Memphis Depay, Pique, Aubameyang, Dembélé, Traoré, dazu die ganz Jungen Gavi, Pedri, Ansu Fati und auf der Trainerbank sitzt seit November 2021 die Barça-Legende Xavi. Er war es, der die Katalanen nach dem Abgang von Messi und einer respektablen Schaffenskrise zu Saisonbeginn wieder aufs Gleis zurückgeführt hat.

Die Chance der Eintracht liegt auch darin, dass Barça die Hessen unterschätzen wird. Ohnehin, so heißt es, hatten Barça-Verantwortlichen nach der Auslosung verblüfft gefragt, wer denn Eintracht Frankfurt sei und welches Stadion sie eigentlich hätten. Die Nase steckt also in spanischen Wolken, die Champions League ist deren Maß, nicht die Europa League.

Unglücklich ist, dass die Eintracht am 7. April zuerst Heimrecht genießt. Und am 14. April zum entscheidenden Rückspiel ins 99 354 Fans fassende Camp Nou reist. Umgekehrt wäre es besser gewesen – mit dem 12. Mann ins Halbfinale.

Gab es jemals ein größeres Spiel?

Zumindest im letzten halben Jahrhundert nicht. Größer war nur eine Begegnung vor 62 Jahren, wie Vorstandssprecher Axel Hellmann meint. 1960, am 18. Mai im Glasgower Hampden Park, stand die Eintracht im Europapokal-Finale gegen Real Madrid, seinerzeit die Übermannschaft mit di Stefano, Puskas, Gento, Santamaria, Real war damals die beste Mannschaft der Welt, spielte und trainierte unter Profibedingungen, während etwa die Frankfurter noch berufstätig waren. 3:7 unterlag die Eintracht zwar, sie zog sich aber überaus achtbar aus der Affäre - war sogar durch Richard Kreß in Führung gegangen.

Danach gab es bedeutende internationale Spiele, aber keines mehr vom Stellenwert Real Madrids. 1980, beim Gewinn des Uefa-Pokals, stand im Endspiel Borussia Mönchengladbach, ein alter Bekannter aus der Liga. FC Aberdeen, Feyenoord Rotterdam oder Dinamo Bukarest hatten lange nicht diese Strahlkraft. Auch AS Monaco, Dynamo Kiew, wie in 1974/75 oder Sturm Graz, Atletico Madrid oder West Ham in 1975/76 oder Widzew Lodz, Galatasaray, Dnepr Dnepropetrowsk, Deportivo La Coruna oder Casino Salzburg (unter Trainer Klaus Toppmöller) nicht, Celta Vigo, Newcastle United nach dem verlorenen Pokalfinale 2006 kommen nicht im mindesten an den FC Barcelona heran. Selbst die Partien gegen Girondins Bordeaux, als 13 000 Fans an den Atlantik mitfuhren, oder FC Porto verblassen dagegen. Racing Straßburg, Olympique Marseille, Lazio Rom, auch Schachtjor Donezk, Benfica Lissabon, Inter Mailand, der FC Chelsea und Arsenal sowie zuletzt Fenerbahce Istanbul oder Olympiakos Piräus sind große Namen, keine Zweifel. Aber Barça überstrahlt alles, das ist eben més que un club.

Sind die Fans ein Faktor?

Es wird ein Tollhaus sein, das Waldstadion am 7. April. Das dürfte sicher sein: Volles Haus, volle Lautstärke, mit allem Drum und Dran, Choreographien, Pyro inklusive. Vermutlich wird die Arena nochmals bersten, mehr als im Spiel gegen Benfica, als die Anhängerschaft die Mannschaft zum Sieg brüllte. Viel lauter als in der glorreichen Europapokal-Saison 2018/19, lauter war es seitdem nie mehr. Die Fans werden also mit Sicherheit eine gewichtige Rolle spielen. Dummerweise dürfen nur 48 500 in den Stadtwald, die saftige Topzuschläge akzeptieren müssen. . 200 000 Karten, so hört man euphorisch, hätten die Hessen verkaufen können, allein Präsident Peter Fischer, sagt Peter Fischer, hätte das Stadion im Alleingang voll machen können, so viele Anfragen hätten ihn erreicht. Und nach Barcelona werden sich mal locker 20 000 Fans auf den Weg machen. Mindestens. Und die wir man hören im fast 100.000 Zuschauer fassenden Camp Nou, denn die Barca-Anhängerschaft genießt den Ruf, ein Opernpublikum zu sein.

Fans spielen also eine Rolle. Aber sicher nicht die entscheidende. An eines sei nur am Rande erinnert: Eintracht Frankfurt hat seine beste Bundesligasaison seit Jahrzehnten zu einem Zeitpunkt gespielt, als überhaupt keine Zuschauende in die Arena durften und es in der Pandemie nur Geiserspiele gab.

Wird Schlusslicht Fürth zum Stolperstein?

Erst mal war Fürth ja der Wendepunkt, in der Hinrunde, das sagen sie alle bei Eintracht Frankfurt. Dieser 2:1-Sieg, erzwungen in der Nachspielzeit trotz grottenschlechter Leistung, pushte die Mannschaft in der Folge zu Höchstleistungen, weckte den zuvor eingeschlafenen Glauben an die eigene Stärke. Warum nicht wieder so? Warum nicht weiteres Selbstvertrauen für die Europa-Festspiele holen? Fürth muss geschlagen werden, um in der Liga oben dranzubleiben, ohne Zweifel, egal, ob Barça schon in den Köpfen steckt. Denn das werden die Spanier, dort sind sie längst angekommen, ist auch nicht zu verhindern, sondern nur menschlich. Ligaschlusslicht Fürth ist auswärts noch sieglos, nur für einen Zähler reichte es bisher auf fremdem Geläuf, im Januar ein 2:2 in Bielefeld. Andererseits: Gegen Bielefeld haben sie auch daheim verloren, die Frankfurter.

Droht die große Langeweile in der Liga?

Ganz unwahrscheinlich ist dieses Szenario für die Eintracht nicht. Na klar, sie wollen die Spannung halten, wollen sich stattdessen Punkt für Punkt, Sieg für Sieg heranrobben an die besser platzierte Konkurrenz. Zu den Plätzen vier und fünf fehlen aber immerhin schon sieben Zähler, zu Rang sechs deren sechs. Durchaus happig, sind ja auch nur noch maximal 21 Punkte zu vergeben in der Restrunde. Die Highlightspiele gegen Barcelona werden viel Kraft kosten, wohl auch eine Menge Konzentration, womöglich den Fokus auf den Ligaalltag – gewiss nicht die allerbeste Ausgangslage für eine Mannschaft wie die Eintracht, die ohnehin stets wankelmütig unterwegs ist.

Was ist noch drin in dieser Saison?

Die Qualifikation für die Champions League, was sonst? Dafür muss die Eintracht halt den Europa-League-Pott nach Frankfurt holen, sollte doch möglich sein, irgendwie, notfalls eben im Traum. Ohne nächtliche Fantasien bleibt die Aussicht auf Rang sieben, sollte als aktueller Bundesliga-Achter der Anspruch der Frankfurter sein, Köln ist nicht besser. Mit etwas Hilfe (von Leipzig oder Freiburg im DFB-Pokal) könnte das sogar für die Teilnahme an der Conference League reichen. Ist zwar nur Europas dritte Klasse, aber, nun ja, trotzdem Europa. Und dafür spielen sie in Frankfurt doch Fußball, nette Destinationen werden auch dort zu finden sein. Die Qualifikation für die Europa League ist rechnerisch ebenfalls noch drin, realistisch aber nur mit einem herausragenden Lauf. Am Rande: Auch Platz zehn könnte es am Ende noch werden, das wäre nicht schlimm, kann einem Frankfurter Fußballteam immer blühen, es wäre aber doch eine Enttäuschung. Letztmals nicht in der ersten Tabellenhälfte landeten die Hessen im Sommer 2017, das ist gefühlt eine Ewigkeit her.

Hat die Eintracht eine bessere Platzierung verschenkt?

Nein! Okay, zwei Siege mehr wären leicht zu holen gewesen, da sind schon ein paar Punkte liegengelassen worden, zu Hause gegen Dortmund, Bielefeld und Wolfsburg oder in Augsburg und Köln, auch in der Hinrunde waren einige solcher Spiele dabei. Und mit sechs zusätzlichen Punkten wäre sie dick drin im Geschäft, die Eintracht. Aber das ist zum einen hypothetisch, zum anderen lügt die Tabelle ja immer noch nicht (äh, schöne Grüße nach Harsewinkel an Herri Bruchhagen).

Und: Die Eintracht hat auch oft genug Dusel gehabt, Tore in der letzten Minute oder der Nachspielzeit erzielt. Das zeugt zum einen von Moral, Einstellung und Mentalität und ist durchaus auch ein Qualitätsmerkmal, andererseits ist es auch schlichtweg Glück. Von daher steht die Eintracht zurzeit zu Recht dort, wo sie steht: gehobenes Mittelfeld. Ist ja auch okay im Jahr des Umbruchs auf allen Ebenen.

Was fehlt der Mannschaft?

André Silva.

Warum?

Weil er Tore garantiert – zumindest in der Kombination mit Filip Kostic. Rafael Borré gibt sich zwar alle Mühe da vorne, rennt wie ein Wiesel und springt auch immer wieder hoch mit seinen 1,74 Meter gegen Kerle, die einen Kopf größer sind, aber so richtig durchsetzen kann er sich nicht. Ein Knipser wird er eher nicht mehr. Wo stünde die Eintracht mit einem richtigen Stürmer?

Und mit einer etwas gepflegteren Spielanlage. Das gesamte Offensivspiel ist irgendwie sperrig, zerklüftet, schwankend. Mal sind schöne Kombinationen dabei, die einen bass erstaunt zurücklassen. Dann werden die Bälle, wie zuletzt in Leipzig, mit einer Beharrlichkeit in die Füße des Gegners gepasst, das man ebenso erstaunt ist – aber im negativen Sinne. Das Angriffsspiel ist nach wie vor die größte Baustelle, genauso wie die Zweikampfführung – kein Team der Liga weist da schlechtere Werte auf. Die Abwehr hat sich dennoch gefunden und steht weitgehend sicher – und in der Kiste thront in Kevin Trapp ein Meister seines Fachs. So viel fehlt also in toto gar nicht.

Wie haben sich die Neuen auf der Kommandobrücke geschlagen?

Sportvorstand Markus Krösche hat den Laden im Griff, für eine neue Kultur des Miteinanders gesorgt. Der 41 Jahre alte Familienvater ist keiner, der breitbeinig durch die Branche marschiert, sondern ein smarter, jovialer Typ, der nahbar ist, auch mal Hintergründe erklärt und die Menschen mitnimmt. Natürlich hat er sich erst an die Wucht des Traditionsvereins Eintracht an einem aufgewühlten Standort wie Frankfurt gewöhnen müssen, aber das hat er schnell geschafft. Der studierte Betriebswirt ist ein Teamplayer, hat um sich herum loyale Fachkräfte eingesetzt, denen er vertraut. Und er ist fleißig, hat das Thema Nachwuchsarbeit und Verzahnung nicht nur wortreich bequatscht, sondern ist es tatkräftig angegangen. Gut so. Auch bei seinen Transfers ist eine Handschrift zu erkennen.

Und er hat einen Trainer geholt, der vielleicht blass wirkt, aber für die Sache brennt, der akribisch ist, ja fast schon pedantisch. Oliver Glasner überlässt nichts dem Zufall, er ist engagiert, motiviert, er will etwas erreichen, will etwas verändern. Der Österreicher hat einen klaren Plan, will sein Team unberechenbarer machen; der 47-Jährige ist ein Typ, der seine Spieler durchaus mal nerven und überfrachten kann. Und er kann hart sein, manch Profi hat er rasiert: Erik Durm, Aymen Barkok, Almamy Touré oder auch Stefan Ilsanker spielen gar keine oder kaum noch eine Rolle. Nicht immer kann man alles verstehen, was er entscheidet, wie er aufstellt oder einwechselt – aber das ist normal und gehört dazu in einem Geschäft, in dem es Millionen Bundestrainer gibt. Glasner aber weiß, was er tut, ist ein Vollprofi und absolute Fachkraft.

Wie geht es in der neuen Saison weiter?

Die wirtschaftlichen Zwänge sind immens, die Eintracht kann keine großen Sprünge machen, ist darauf angewiesen, Transferüberschüsse zu erzielen. Da kann es gut sein, dass manch Leistungsträger verkauft werden muss. Manager Krösche hat sein Augenmerk darauf gelegt, junge, hungrige und vor allem ablösefreie Spieler zu gewinnen. Er will in der Sichtung schneller und effizienter sein als andere. Das Vertrackte daran: Das wollen die anderen auch. Ist also nicht so leicht alles. In der ablösefreien Verpflichtung des begehrten Stürmers Randal Kolo Muani scheint ihm, bei aller Vorsicht, ein Coup gelungen zu sein. Aber nur mit talentierten, entwicklungsfähigen Spielern wird es nicht funktionieren. Daher soll die bestehende und Stabilität versprechende Achse erhalten bleiben. Richtig so.

Kommt ja einiges auf die Eintracht zu nächste Saison, in der Königsklasse. Oder Conference League. (Daniel Schmitt, Thomas Kilchenstein, Ingo Durstewitz)

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