Ausgrabung in Frankfurt: Senckenberg erfüllt Dinoträume

Seit einem Jahr gräbt Senckenberg nach 70 Millionen Jahre alten Bewohnern von Wyoming – mitten in Frankfurt: so erfolgreich, dass schon die Schubladen im Lager knapp werden
Vor vielen Jahren gab es mal einen sensationellen Forschungsbericht in der Frankfurter Rundschau: In der Wand des alten Verlagsgebäudes am Eschenheimer Tor war bei Renovierungsarbeiten ein versteinerter Archaeopteryx freigelegt worden – ein fliegender Dinosaurier, zig Millionen Jahre alt. Nun, die Lügengeschichte erschien an einem 1. April, und bis ins vorige Jahr glaubte niemand daran, in Frankfurt tatsächlich noch einmal echte Überbleibsel der Dinos auszugraben.
Das änderte sich 2020 grundlegend. Da beschlossen die Leute von Senckenberg: Wenn die Urzeitgenossen nicht mehr bei uns in der Stadt zu finden sind, holen wir einfach welche aus Amerika. Und sie brachten mit dem Schiff eine ganze Grabungsstätte aus dem Paläontologieparadies im US-Bundesstaat Wyoming ins Frankfurter Westend. 20 Quadratmeter Boden, unterteilt in 16 Quader. 20 Quadratmeter Hoffnung auf Funde aus längst versunkenen Zeiten.
Ausgrabung in Frankfurt: „Uns sind gerade die Schubladen ausgegangen“,
Die Hoffnung wurde nicht enttäuscht. „Uns sind gerade die Schubladen ausgegangen“, sagt Senckenberg-Projektleiter Philipe Havlik. 200 Schubladen. Für bedeutsame Funde. Aus der Dinosaurierzeit. Voll. Ursprünglich erhofften sich die Forscherinnen und Forscher um Grabungsleiterin Zsofia Hajdu etwa 1000 Fundstücke. „Wir haben mal überschlagen“, sagt Havlik, „es sind jetzt etwa 3000 Objekte.“ Und von den 20 Quadratmetern ist bisher gerade mal gut die Hälfte bearbeitet.
Sind denn auch bedeutsame Funde dabei? „Die Frage ist: Was ist bedeutend?“, fragt Havlik zurück. Der Zahn eines Tyrannosaurus Rex beispielsweise, der ist durchaus bedeutend. Es gibt erwachsene Menschen, die sich an ihre Kindheit zurückerinnern und schier ins Träumen geraten bei der Vorstellung, sie hätten damals den Zahn eines Tyrannosaurus Rex (!) besessen und nicht nur den „Was ist was?“-Band „Prähistorische Säugetiere“. Man wäre der von allen hofierte Herrscher im Kinderhort gewesen mit dem Zahn eines Tyrannosaurus Rex.
Ausgrabung in Frankfurt: Spannend sind die ganz kleinen Dinge
Für Forschende ist das Ding aber auch ganz interessant, wie man hört. Acht Zentimeter lang, der Zahn. Vom Edmontosaurus, einer Art Büffel (nur dreimal so groß wie der uns bekannte) mit Entenschnabel (nur 300-mal so groß) haben sie vier oder fünf Unterkiefer in der Import-Grabungsstätte aus Wyoming gefunden und jede Menge Schädelmaterial.
So machen Sie mit
Am 19. August verlosen wir Plätze für zweimal zwei Personen, die die Sonderausstellung „Edmonds Urzeitreich – Eine Dinograbung in Frankfurt“ des Senckenberg-Museums besuchen dürfen. Zudem dürfen die Gewinner:innen exklusiv die Dinograbung besuchen. Wer mitmachen möchte, findet die Angaben in der gedruckten Ausgabe oder im E-Paper. red
Spannend sind für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darüber hinaus die ganz kleinen Dinge. Die Zähnchen winziger Säugetiere. Kiefer von einem halben Zentimeter Länge. So etwas findet man normalerweise nicht. In Frankfurt schon.

„Das war das Grundprinzip“, sagt Philipe Havlik. „Wir können hier viel genauer arbeiten, als wir es jemals draußen könnten. Das war die Voraussetzung für das Projekt.“ Die Grabungsstätte in ihrer eigenen Halle, einer spektakulären Installation des Offenbacher Künstlerkollektivs YRD-Works, schafft praktisch eine Laborsituation für die Forschung am eigentlich offenen Land.
Ausgrabung in Frankfurt: „Alle sind gespannt, was wir herausfinden.“
Was sagt man dazu im offenen Land, draußen in Wyoming, in den weltberühmten Gesteinsschichten der Lance-Formation, aus denen die Quader stammen? „Wir haben viele Rückmeldungen von dort“, sagt Havlik. Nicht nur von den Fachleuten vor Ort, auch aus anderen Gegenden. „Alle sind gespannt, was wir herausfinden.“
In den Weiten der USA, am reich gedeckten (Nach-)Tisch der Urzeit, schaue man üblicherweise nicht so penibel nach den allerkleinsten Funden. Dort zählten eher die großen Knochen. Dort gehe es um die Highlights, die großen Dinos. Dort heiße es: „Die Deutschen wollen es eben wieder mal ganz genau wissen.“ Alles mit einem Augenzwinkern, versteht sich.

Die Ausstellung rund um den Edmontosaurus, liebevoll Edmond genannt, und seine letzte Ruhestätte war von Anfang an dazu bestimmt, im begrenzten Rahmen auch Museumsgäste graben zu lassen. Einmal selbst die Hände in die Vorgeschichte der Menschheit zu stecken. In die Zeit, als noch der Einschlag eines Himmelskörpers ganze Tierarten (die Dinos) ausrottete und nicht die Tierart (der Mensch) sich selbst. Aber dann kam diesen Plänen ein Coronavirus in die Quere und erschwerte das Ganze. Immer mal wieder kann Senckenberg den Plan im ganz kleinen Rahmen umsetzen und Einzelne vorsichtig mittun lassen. Für die Leser:innen-Gruppe wird das voraussichtlich nicht möglich sein. Die Lage ist unsicher, die Menschheit kennt das inzwischen. Aber schon die Begegnung mit diesem Ort ist ein einzigartiges Erlebnis. Die Leute befragen zu können, die dort ganz vorsichtig nach den Geheimnissen graben, die seit 70 Millionen Jahren genau in diesem Stück Erdgeschichte geduldig warten.
Ausgrabung in Frankfurt: Was geschieht mit der Grabungsstätte?
Was geschieht eigentlich mit der Grabungsstätte, wenn alles ausgegraben ist? Dann geben die Fachleute ihre Beute teilweise weiter an die Universitäten in Frankfurt und Mainz, auch an die spezialisierten Abteilungen der Senckenberg-Gesellschaft für weitere Forschungszwecke. „Je mehr Zähne des Edmontosaurus wir haben, desto eher kann mal einer zerlegt oder zermahlen werden, um tiefer zu forschen“, sagt Havlik.
Einen kleinen Teil der Grube aus Wyoming könnte das Museum als Platte in seine Dauerausstellung integrieren. Am Ende wird, was übrig bleibt, durch ein 0,3-Millimeter-Sieb gejagt. Die Deutschen wollen es eben wieder mal ganz genau wissen. Auch wenn es beileibe nicht nur Deutsche sind, die an diesem ganz besonderen Projekt mitarbeiten.