Ein legendärer Verleger

Victor Otto Stomps wurde vor 125 Jahren geboren / Betreiber der Eremiten-Presse
Oberursel - Im Hause Krämer hat sich die Ära der Stierstädter Eremiten-Presse lebendig erhalten. Das Erbe füllt drei Kisten und bietet Erstaunliches. Der kommende Donnerstagabend steht im Zeichen von Victor Otto Stomps, der in künstlerisch versierten Kreisen bis heute als „V.O.“ oder „VauO“ einen ungeheuren Ruf genießt. Anlass, um an den Schriftsteller - in erster Linie ist der 1897 in Krefeld geborene Juristensohn als revolutionärer Verleger bekannt - zu erinnern, ist sein 125. Geburtstag. Dem 1970 in Berlin verstorbenen Visionär wird deshalb in der Oberurseler Portstraße feierlich nachgerufen mittels Rezitation, Lobpreis und dokumentarischer Vergegenwärtigung.
So willkommen der Geburtstag von VauO auch ist, darf er doch ein anderes Datum nicht überwallen: Der Betreiber des die deutsche Nachkriegszeit prägenden Kleinverlags Eremiten-Presse hat sein Domizil in Stierstadt vor 55 Jahren verlassen. Grund genug, um der Stierstädter Straße 12 einen Besuch abzustatten. Noch immer erhebt sich dort der schmale Fachwerkbau, in dem sich das Stomps’sche Wirken zwischen 1954 und 1967 abgespielt hat.
Neben dem legendenumrankten, wenn auch schmucklos-einstöckigen „Schloss Sanssouris“ (was sich als „Schloss Ohnemäuse“ übersetzen lässt und auf die klammen Finanzen des Künstlerhortes verweist) wohnt die Krämer-Tochter Inge, eine Zeitzeugin und V.O.-Nachlassverwalterin von Format. Ihre Eltern, Schlossermeister Adam und Ehefrau Anna Krämer, haben dem aus Frankfurt gekommenen Verleger die frühere Zimmerei-Werkhalle und Leichenwagen-Remise für eine Monatsmiete von 50 Mark gerne überlassen. Der Pachtvertrag datiert auf den 1. Juni 1954.
Was die Nachfahrin des Hauses Krämer in drei großen Kisten aufbewahrt und beizeiten ihrer Tochter Pia vermachen wird, ist der schönste Stomps-Schatz, der sich denken lässt. Ein einmaliges Konvolut, bestehend aus Drucken, Fotografien, Postkarten, Briefen, Persönlichem. Der bereits im Alter von 54 Jahren verstorbene Adam Krämer hat seinen Künstlermieter mehrfach abgelichtet, selten ohne filterlose Zigarette, immer aber mit Grandezza. „V.O. Stomps war ein höflicher, vornehmer Mensch, zu dem man aufblicken, der sich in jeder Gesellschaft behaupten konnte“, so die 72-Jährige im Rückblick.
GESPRÄCHE UND LESUNGEN
Am morgigen Donnerstag findet im Kulturzentrum Portstrasse (Hohemarkstraße 18,) eine Veranstaltung zu dem Verleger und Schriftsteller Victor Otto Stomps statt. Die Gespräche und Lesungen, Film- und Bilddarbietungen beginnen um 19.30 Uhr.
Der Stomps-Abend wird vom Kulturverein LiteraTouren und Portstrasse - Jugend und Kultur organisiert.
Der Eintritt kostet 16 Euro. Karten gibt es in der Buchhandlung Libra, Rathausplatz 7, und an der Abendkasse. ov
Jahreskalender als Bestseller
Was geschaffen wurde, liegt auf dem Tisch. Neben den in kleinen Auflagen und mit Lust am Ungewöhnlichen entstandenen Grafik-Dichtung-Bänden erregen besonders die im rasanten Hochformat realisierten Jahreskalender das Interesse. Es sind die „Bestseller“ der Eremiten-Presse, einfachste Machart, gepaart mit delikater Raffinesse: Lyrik von Bingel, Bovelet, Reinig oder Weiser, dazu die Originalgrafiken von Schindehütte, Waldschmidt, Blase. Was damals nahe dem Stierstädter Bahndamm ins Werk gesetzt wurde, ist konsequent zwanglos und sehr freiheitlich gedacht. Ohne die Hilfe des guten Adam Krämer geht es jedoch selten vonstatten. Betagt sind die Setz- und Druckmaschinen, quittieren zuweilen und mitten im wildesten Furor den Dienst. „Den VauO kannte in Stierstadt jeder, die Dorfgemeinschaft hat dieses andere Dasein akzeptiert.“ Das Leben der Bohème verbietet jedenfalls nicht das Einkaufen im „Konsum“ oder das Zechen in den Dorfgasthäusern Taunus, Hirsch, Waldlust.
Krämer-Tochter Inge hat sie alle kennengelernt, die frühen Talente der frühen Bundesrepublik - es ist in der Rückschau kaum zu fassen, welche Koryphäen ihre Lehrzeiten in „Sanssouris“ absolvieren durften. Eine Rarität ist das „Spiel- & Polterbuch“ des Günter Bruno Fuchs in seiner umwerfenden Wellpappe-Ausstattung. Heute ist am Bahndamm aber zu erfahren: „Davon wurden ja nur 60 gedruckt.“ Die grafische Sensation steckt voller Erinnerungen. „Mein Vater hat jedes Blatt in der Hand gehabt!“
Was Stomps am Ende seinen Vermietern hinterlassen hat, berührt. Neben dem Wehrmachtsführerschein des einstigen Oberleutnants oder der Mitgliedskarte des Vereins für grafische Betriebe in Hessen entsteigt ein zweiseitig beschriebenes Papierblatt der Schatzkiste. Füllt der Familienstammbaum Stomps die eine Seite, stimmt die Rückseite durchaus traurig. VauO.s letzter Wille, in sieben Kapiteln. Der Eremit bestimmt Sohn Goswin zum Alleinerben, die Herren Pross und Bingel zu Nachlassverwaltern des Verlages, ernennt den Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf zum Ort der Beisetzung. Und: „Kirchliche Feierlichkeiten durch einen Pfarrer verboten.“ - Beglaubigt am 17. Februar 1959 zu Stierstadt.