„Die Schwächsten werden ohne Unterstützung dastehen“

Berater Andreas Rickert über die Gefahr, dass viele gemeinnützige Organisationen die Krise nicht überleben
Herr Rickert, mit einem fast 70-köpfigen Team beraten, analysieren und unterstützen Sie seit Jahren gemeinnützige Organisationen und haben einen guten Einblick in den zivilgesellschaftlichen Sektor. Wie ist der bislang durch die Krise gekommen?
Leider sehr schlecht. Man muss das so deutlich sagen: Die Not im gemeinnützigen Sektor ist groß – und zwar schon seit dem ersten Tag des Lockdowns.
So schnell?
Ja, das liegt in der Natur der Sache. Gemeinnützige Organisationen dürfen keine Gewinne machen und keine großen Rücklagen bilden. Ihnen geht deshalb schnell die Luft aus, wenn Einnahmen wegbrechen. Und das passiert in der Corona-Krise überall.
Können Sie ein Beispiel geben?
Behindertenwerkstätten können ihre Produkte nicht verkaufen, Kulturzentren verlieren Einnahmen aus der Vermietung von Räumen, Sportvereine müssen die Kursgebühren erstatten. Gleichzeitig laufen Kosten für Gebäude und Personal weiter. Das halten die Organisationen nicht lange durch.
Was heißt „nicht lange“?
Ganz grob gibt es bei zivilgesellschaftlichen Organisationen drei Finanzierungsmodelle. Ein Teil von ihnen übernimmt soziale Dienstleistungen vom Staat und erhält dafür Zuwendungen. Kitas oder Pflegeeinrichtungen zum Beispiel. Denen geht es noch vergleichsweise gut, weil die öffentliche Hand viele Zuwendungen in der Krise weiterlaufen lässt. Bei Organisationen, die überwiegend von gewerblichen Einnahmen leben, ist die Not am größten. Ihre Existenz ist akut bedroht. Und dann gibt es Organisationen, die auf private Kapitalgeber wie Spender oder Stiftungen angewiesen sind. Bei denen ist die Lage angespannt und wird in den nächsten Monaten deutlich schlimmer werden.
Zur Person
Andreas Rickert, 46, gründete nach Tätigkeiten in der Wirtschaft im Jahr 2010 das gemeinnützige Analyse- und Beratungsunternehmen Phineo. Das Team unterstützt gemeinnützige Organisationen und berät Fördernde wie Stiftungen, Unternehmen, Privatpersonen und die öffentliche Hand in ihrem sozialen Engagement.
Aber es gibt doch all die staatlichen Rettungspakete …
Natürlich können gemeinnützige Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder die Miete stunden. Das hilft aber nur vorübergehend. Die milliardenschweren Rettungspakete für die Wirtschaft gehen bislang am gemeinnützigen Sektor vorbei. Das ist nicht zu verstehen, denn seine Wirtschaftskraft ist immerhin vergleichbar mit der Baubranche. In den 600 000 zivilgesellschaftlichen Organisationen arbeiten rund 3,7 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigte. Dennoch hatte niemand den zivilgesellschaftlichen Sektor bei der Konstruktion der Rettungsmechanismen auf dem Schirm.
Angeblich kommt mit dem Konjunkturpaket ein Rettungsschirm für Non-Profit-Organisationen.
Der wäre dringend nötig, weil kurzfristige Zahlungsengpässe verhindert werden müssen. Aber ganz ehrlich: Kredite zum Beispiel können bestenfalls eine Übergangslösung sein. Wie soll eine Organisation, die nicht gewinnorientiert arbeitet, die Überschüsse erzielen, um einen Kredit abzubezahlen?
Was muss stattdessen passieren?
Der gemeinnützige Sektor ist lebendig und innovativ. Gerade in der Krise sind viele Ideen entstanden, aber für die Umsetzung fehlen die Mittel. Es braucht dringend staatliche Hilfen und direkte Zuschüsse, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Wenn es die nicht gibt, wird es eine Pleitewelle geben, die schlimme Auswirkungen für die Gesellschaft hätte.
Hilfsorganisationen drohen zu verschwinden?
Die Gefahr ist sehr real. Und die Institutionen, die nun wegzubrechen drohen, werden wir in der Post-Corona-Zeit dringender denn je brauchen. Schon während des Lockdowns, als viele Organisationen wegen der Kontaktbeschränkungen ihre Dienste nicht mehr anbieten durften, haben wir gesehen, wie schmerzhaft sie vermisst werden. Obdachlose, Arme, Kinder aus schwierigen Verhältnissen – es sind die Schwächsten unserer Gesellschaft, die plötzlich ohne Unterstützung dastehen. Der Staat muss verhindern, dass das dauerhaft geschieht. Und zwar in seinem ureigensten Interesse.
Interview: Andreas Niesmann