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Simbabwe: Psychotherapie auf der Bank

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Von: Andrea Jeska

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Fünf Bänke stehen im Park der Poliklinik von Budiriro. Wenn man einen Vormittag dort verbringt, sieht man viele junge Mütter, die sich den älteren Frauen anvertrauen.
Fünf Bänke stehen im Park der Poliklinik von Budiriro. Wenn man einen Vormittag dort verbringt, sieht man viele junge Mütter, die sich den älteren Frauen anvertrauen. © Jens Schwarz

Psychotherapie ist in vielen afrikanischen Ländern ein Tabu – oder gilt bei vielen Menschen als zu elitär. Aber sich auf eine Bank setzen und über seinen Kummer sprechen? Das funktioniert, wie ein Projekt in Simbabwe zeigt.

Ich bin glücklich“, sagt Esther Taruvinga, 54, und selbst die Farbe ihres Kleides ist von der Art Rot, die Lebensfreude ausdrückt. Sie sagt: „Ich bin Witwe. Mein Mann verließ mich, kam wieder und infizierte mich mit HIV. Er starb vor sechs Jahren. Mein Sohn ist ein Dieb. Es gab eine Zeit, da wollte ich sterben. Ich verkroch mich in einem Zimmer, und alle sagten, ich sei verrückt. Dann kam ich an diesen Ort und ich erzählte alles. Ich wurde getröstet. Ich wurde geheilt. Wenn du Teil der Freundschaftsbank bist, geht aller Kummer fort. Und sieh mich an. Heute tanze und singe ich. Ich baue Gemüse an und verdiene Geld. Ja, ich bin glücklich.“

Ein Dutzend Frauen sitzen im Garten der Poliklinik von Budiriro, ein Viertel am Rande der simbabwischen Hauptstadt Harare. Es ist ein Bild wie aus einem Fotobuch über Afrika: Frauen mit Tüchern, Mützen oder Kappen auf dem Kopf, sie haben die Beine ausgestreckt, die Krone eines Tamarindenbaums spendet ihnen Schatten. Ihre Kleidung ist schlicht, gewickelte Röcke, T-Shirts, an deren Slogan man sieht, welche Hilfsorganisation diese umsonst verteilt hat. In den Händen halten sie Häkelnadeln und Knäuel aufgewickelter Plastikstreifen – recyceltes Material aus Tüten. Sie häkeln Taschen und Hüte, Mützen und Geldbörsen. Ihre Hände sind knochig, faltig, abgearbeitet, sie haben Kinder großgezogen, Felder beackert, Gemüse gezogen, in Kochtöpfen gerührt.

Einfach auf die Bank setzen und reden

Einmal in der Woche, am Mittwoch, treffen sie sich hier: Elf Frauen und ein Mann, um für ihren Lebensunterhalt gemeinsam Taschen und Hüte zu häkeln, miteinander zu reden, einander zu stärken. Sie sind krank. Sie leiden unter Depressionen, Angstzuständen, post-traumatischen Belastungssyndromen. Und unter dem HI-Virus. Das Häkeln und Reden ist eine Art Nachsorgeprogramm eines Projekts, mit dem jenseits der armseligen staatlichen Gesundheitsstruktur Menschen geholfen wird, die an psychischen Problemen leiden. Friendship Bench heißt dieses Projekt, Bänke der Freundschaft, und es funktioniert, weil es so normal ist, sich auf eine Bank zu setzen und zu reden.

Jenseits der Stille: Straßenszene aus der Millionenstadt Harare.
Jenseits der Stille: Straßenszene aus der Millionenstadt Harare. © Jens Schwarz

An vier Tagen in der Woche, immer von 8 bis 12 Uhr, sitzen auf diesen Bänken Mitarbeiterinnen des simbabwischen Gesundheitsamtes, die eine psychotherapeutische Spezialausbildung haben. In ganz Harare gibt es 13 Kliniken, die diesen Service anbieten. Die Bänke sind nichts Besonderes, sie sind aus dunklem Holz gezimmert, es passen zwei Erwachsene und wohl noch ein Kind darauf. Armut steht ganz oben auf der Liste der Themen, die hier besprochen werden, Tod und Krankheit folgen, dann häusliche Gewalt, Hunger, der Druck, die Familie über die Runden zu bringen, die Angst vor dem Versagen, die Angst, keine Hoffnung mehr für den nächsten Tag zu haben.

Es mangelt an vielem

Simbabwe, einst das blühende Rhodesien, ist nach dreieinhalb Jahrzehnten unter der Herrschaft des Diktators Robert Mugabe ein heruntergewirtschafteter Staat, dem es an vielem mangelt: an Entwicklung, an Devisen, einem Bildungssystem, Arbeitschancen, Wohlfahrt. Vor allem aber an einem funktionierenden Gesundheitssystem. Psychotherapie ist weitgehend unbekannt. Lange übersahen die westliche Medizin und die Entwicklungshilfe, dass auch das Leben auf dem afrikanischen Kontinent die Seele quälen und brechen kann. Man bekämpfte Armut, Krankheiten, verteilte Saatgut und Lebensmittel – die Seelen heilte man nicht. Vielleicht gab es eine Zeit, in der es reichte, zum traditionellen Heiler zu gehen, Kräuter zu empfangen, Opfergaben zu bringen. Doch die Komplexität der Probleme wuchs und mit ihr die Krankheiten der Seele. Was nicht wuchs, war die Zahl an Hilfsangeboten.

Ewenia, 42, die ihren Nachnamen nicht nennen will, setzt sich, um ihre Geschichte zu erzählen, etwas abseits von der Gruppe. Ihre Aids-Krankheit ist schon fortgeschritten. Sie ist geschieden, die Kinder leben bei der Familie ihres Ex, sie hat keinen Job, sie nimmt Drogen, sie ist am Ende. „Jemand von Friendship Bench klopfte eines Tages an meine Tür und fragte mich, ob ich depressiv sei. Damals wollte ich nur noch sterben. Jetzt kann ich mir wenigstens wieder die Wimpern tuschen, lachen. Im Projekt habe ich neue Mütter, Schwestern, Väter, Brüder gefunden. Ich habe noch immer keinen Job, noch immer kein Geld, noch immer Aids. Aber ich kann mich fühlen, ich bin wieder ein Teil dieser Welt.“

„Ich bin wieder ein Teil dieser Welt“, sagt Ewenia.
„Ich bin wieder ein Teil dieser Welt“, sagt Ewenia. © Jens Schwarz

Fünf Bänke stehen im Park der Poliklinik von Budiriro, ein zweckmäßiger Bau ohne Schönheit und Komfort. Wenn man einen Vormittag dort verbringt, sieht man viele junge Mütter, die Babys auf den Rücken gebunden, die sich den „health workers“, braunbekittelten Frauen jenseits der 50, anvertrauen – so alt muss man sein, um Beraterin der Friendship Bench zu sein, Lebenserfahrung muss man haben und eine Familie, eigenes Leid erlebt haben. Die jungen Frauen erzählen flüsternd, beinahe beschämt, senken dabei die Köpfe. Es fließen keine Tränen, aber die leisen Stimmen kommen zusammen wie in einem traurigen Lied.

Eine, die solche Klagelieder seit vielen Jahren hört und doch noch immer bewegt ist von dem tiefen Leid darin, ist die 58-jährige Fungai Madamombe. Fungai bedeutet: die, die gute Gedanken hat. Madamombe arbeitet für das simbabwische Gesundheitsamt, seit sie eine junge Frau war. 2006 wurde sie Mitglied des Friendship Bench-Programms, nahm an der psychotherapeutischen Ausbildung teil und verteilt seither in ihrer mütterlichen Art Trost und Rat.

Auf der Suche nach den guten Dingen

Dass Projekt Friendship Bench begann vor rund 20 Jahren als Forschungsprojekt in den Gemeinden, als Versuch, die Lücke zwischen Krankheit und Therapie zu füllen. Es bedient sich zwar der Elemente der westlichen Therapie, jedoch unter Einbeziehung traditioneller Methoden. Vor allem jener des Erzählens. Kuvhura pfunga, die Gedanken öffnen, so ist die erste Sitzung überschrieben. Anhand eines speziellen Fragebogens versuchen die health workers, die Probleme zu definieren. Madamombe, selbst Mutter von drei Kindern, Großmutter von sechs Enkeln, hat gelernt, Geduld zu haben. „Die meisten, die kommen, haben nie zuvor über ihre Probleme gesprochen. Sie haben kein Gespür für ihr eigenes Ich, haben nicht gelernt, über sich nachzudenken.“

Viele der Frauen beginnen das Gespräch mit der Aussage, sie wollten sich umbringen, sagt Madamombe. „Das ist dann schon die rote Fahne für uns. Ich mache ihnen zunächst klar, dass die Probleme nicht ihr Versagen sind und sie ihr Leben nicht deshalb wegwerfen müssen.“

Kusimudzira, die moralische Aufrichtung, ist der zweite Schritt in dieser Therapie. Es ist die Suche nach guten Dingen im schlimmen Leben und nach Lösungen. Es folgen ein Besuch der Familie, die Einbindung aller Akteure, weitere Sitzungen, schließlich eine Zusammenfassung, ein Rückblick – und die Aufnahme in die häkelnde Nachsorgegruppe. Sechs Wochen dauern all diese Sitzungen, für jahrelange Analyse hätte hier ohnehin niemand Zeit. „Wir erstellen keine Diagnose“, sagt Madamombe. „Wir suchen nicht nach Symptomen oder dem Unterbewusstsein. Wir stabilisieren, wir finden neue Wege im Alten. Wunder vollbringen wir nicht. Am Ende liegen das Leben und der Tod in Gottes Hand.“

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