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Sven Väth: „Das alles ist irgendwie aus mir rausgesprudelt“

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Von: Arne Löffel

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„Das Tanzen an sich ist ja schon ein selbstreinigender Vorgang“, sagt Sven Väth. Foto: Woellerphoto
„Das Tanzen an sich ist ja schon ein selbstreinigender Vorgang“, sagt Sven Väth. © VON Arne Löffel

DJ Sven Väth über 40 Jahre an den Plattentellern, die Vorteile von Vinyl und das Rumwühlen in der Vergangenheit.

Herr Väth, wir mussten 20 Jahre auf Ihr neues Album warten, viele Ihrer Fans haben nicht mehr damit gerechnet. Was hat Sie jetzt dazu bewogen?

Es war tatsächlich ein längerer Weg für mich, bis ich wieder an diesem Punkt war, ein Album zu schreiben. Die vergangenen Jahre waren unglaublich intensiv, es ist so viel passiert und durch Corona kam das alles zum Stillstand – vor allen Dingen im ersten Corona-Jahr. Da hatte ich zum ersten Mal Zeit, zu reflektieren, was alles war in 40 Jahren als DJ. Ich habe darüber nachgedacht, welche Musik mich seit 1981 begleitet hat, und ich habe die Zeit genutzt: Ich habe die ganzen Tracks zusammengesucht, die mich geprägt haben, Tracks, die ich schon immer mal mit den Menschen teilen wollte. Dabei kamen unglaublich viele Erinnerungen hoch.

Was ist Ihnen da besonders entgegengesprungen?

Ich habe das Dorian Gray, den legendären Club am Frankfurter Flughafen, noch einmal gerochen. Ich war noch mal in der Industrialzeit Mitte der 80er und vieles mehr. Daraus ist dann die Idee entstanden, eine Compilation mit 120 Tracks aus der Zeit von 1981 bis 1989 zusammenzustellen. Und daraus habe ich wiederum 40 Tracks gefiltert, die als Compilation nun Ende des Jahres 2022 auf meinem Label Cocoon Records als Vinyl-Box erscheinen wird. „What I Used To Play“ heißt das Projekt, das mein Team ganz schön auf Trab gehalten hat. Ein Jahr haben wir allein an der Lizensierung der Tracks gearbeitet. Auf jeden Fall hat mich das ganze Rumwühlen in der Vergangenheit auf die Idee gebracht, zum 40-jährigen DJ-Dasein ein schönes Coffeetable-Buch herauszubringen, mit vielen Fotos aus der Zeit und eben auch Texten. Dann bin ich quasi noch mal in den Keller und habe die ganzen alten Fotos rausgekramt. Da habe ich ein ganz schönes Fass aufgemacht.

Das war gewiss nicht einfach für Ihr Team.

Nein, Stillstand ist für keinen aus meinem Team ein gewohnter Zustand. Aber die Arbeit hat bei uns auch im Lockdown nie wirklich geruht. Wir hatten ja auch gerade die Compilation zu 20 Jahre Cocoon Records veröffentlicht, die auch einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum neuen Album darstellt.

Wie das?

Der BBC-Moderator Pete Tong hatte mich gebeten, einen Mix aus 20 Jahren Cocoon Records für seine Show zu machen. Als die im Radio lief, haben meine Freundin und ich seit langem mal wieder eine Flasche Rotwein geöffnet, die Boxen aufgedreht und bis in die Morgenstunden im Wohnzimmer getanzt. Das war so ein schöner Moment, unvergesslich. Und am nächsten Morgen habe ich mich dann hingesetzt und den Track „Feiern“ geschrieben. Da ist der Knoten geplatzt. Das war der Impuls für das ganze Album. Ich habe meinen Freund und geschätzten Produzenten Gregor Tresher angerufen und gefragt, wann sein Studio frei ist und ich vorbeikommen kann.

Ist das immer noch so, dass Sie der Dirigent im Studio sind, der die Richtung vorgibt, die eigentliche Produktionsarbeit aber den Musikern überlassen?

In etwa so, ja. Ich war natürlich geladen von dem ganzen Rückblick, ich war voller Emotionen. Gregor und ich konnten uns da ganz großartig verbinden. Ich habe auch einige Fieldrecordings von meinen Reisen mitgebracht, die wir verwendet haben. Auf dem Track „Catharsis“ läuft zum Beispiel ein Loop, den ich 2016 am Ganges in Indien aufgenommen habe, das sind Shantys, die da gesungen werden. Das war ein ganz magischer Moment. Sonnenuntergang, Vollmondaufgang, ich mit meiner Freundin auf einem Ruderboot. Sehr romantisch. Als ich das aufgenommen habe, dachte ich schon daran, das irgendwann mal zu verarbeiten. Das alles ist irgendwie aus mir rausgesprudelt.

Der Titel des Albums, „Catharsis“, bedeutet ja so viel wie Selbstreinigung. Ist das ein wichtiger inhaltlicher Baustein?

Ich sehe es so, dass Tanzen an sich ja schon ein selbstreinigender Vorgang ist. Das sagen ja auch die Lyrics in „Feiern“: „Der Beat, der Beat, der Beat, die Quelle, die wir brauchen.“ Diese durchtanzte Nacht mit der BBC Radio Show, der musikalische Rückblick, das hat mir gezeigt, was mir unwahrscheinlich gefehlt hat. Das war irgendwie auch eine Entschlackung. Ich habe mich aufgeräumt gefühlt danach. Ich hatte neue Energie, Lust, Dinge umzusetzen. Das ist für mich auch eine Katharsis.

Ist im Hinblick darauf „Catharsis“ Ihr bisher persönlichstes Album?

Puh. Ja, das ist schon sehr persönlich. In den vergangenen 20 Jahren ist ja auch viel passiert. Der Aufbau der Firma Cocoon, dann die vielen Jahre mit den Events auf Ibiza, da steckt schon sehr viel von mir drin, und ich bin froh, das mit Gregor Tresher auch so umsetzen zu können. Ich war mir nicht sicher, ob das mit einem Künstler funktioniert, mit dem ich eigentlich noch nicht im Studio war. Aber es hatte echt magische Momente. Er war ein sehr guter Zuhörer, denn ich singe ja auch manchmal, fasse in die Tasten, spiele mal einen Groove. Es ist auf jeden Fall ein pures Sven-Väth-Album.

Der Klangkosmos des neuen Albums ist einerseits typisch Cocoon, andererseits auch typisch Sven Väth, wie ich ihn aus dem Omen erinnere. Welchen Einfluss hatte die Zeit in dem legendären Club in Frankfurt auf die Produktion?

Die Zeit in den 90ern im Omen war eine unglaublich intensive Zeit, aber die elektronische Musik, meine Musik, hat sich seitdem stark weiterentwickelt. Von daher ist das Album keine Rückschau auf die Zeit im Omen, wenngleich viele der Tracks genau so auch im Omen hätten laufen können.

Wo wir gerade bei den ehemaligen Clubs unter Ihrer Regie sind: Sie haben im Interview mit der „Zeit“ gesagt, dass Sie Frankfurt als undankbar empfunden hätten. Da ging es konkret um die Schließung des Cocoon-Clubs in Fechenheim. Was meinen Sie damit?

Zur Person

Sven Väth, 1964 in Offenbach geboren, ist einer der erfolgreichsten Kulturexporte Frankfurts. Der DJ, Clubbetreiber und Label-Manager gilt als der erste DJ, der sich konsequent dafür entschieden hat, nur noch elektronische Musik zu spielen. Hierfür übernahm er 1988 den Frankfurter Club „Vogue“ und formte daraus das „Omen“. Der Club gilt als eine der wichtigsten Geburtsstätten für Techno und House in Deutschland.

Seine Karriere begann bereits Mitte der 80er Jahre mit dem Projekt „OFF“". Seitdem hat er die Clubkultur rund um den Globus geprägt.

Sein Album „Catharsis“ (Cocoon Recordings) ist das erste seit 20 Jahren.

Ich meine damit, dass seitens der Stadt Frankfurt der Quantensprung nicht ganz nachvollzogen wurde. Wir haben erstmals einen Club von Grund auf durchkonzipiert, mit Designern, mit Architekten. Eben mehr als nackte Wände und ein Strobo. Ich hatte gerade in der Anfangszeit und auch der Planungszeit den Eindruck, dass viele das gar nicht in Frankfurt haben wollten, dass das eine Nummer zu groß ist. Über die Jahre wurde das aber mehr und mehr angenommen, wir haben aber auch viel gemacht. Es gab tolle Konzerte, einen tollen Sound, eine tolle Gastronomie. In London oder New York wäre das ganz anders angenommen worden als in Frankfurt. Wir waren eben auch anspruchsvoll, was die Gastronomie angeht – und im Laufe der Zeit ist uns da schlicht die Luft ausgegangen. Das war dann auch der Punkt, an dem ich mit Frankfurt erst mal fertig war. Da hat es mir gereicht. Ich hatte 35 Jahre lang hier ganz viel bewegt und brauchte endlich mal einen Cut.

Ich glaube, Frankfurt war gar nicht so undankbar und dass die Menschen hier schon Lust auf den Laden hatten. Aber ich glaube, Frankfurt war schlicht zu klein.

Das stimmt. Und bei Fechenheim, dem ganzen Ostend, wurde ja orakelt, dass das der neue In-Stadtteil werden würde. Das ist ja auch ewig nicht passiert und die Stadtentwicklung war viel zu langsam, um mit uns Schritt zu halten. Bei der Konzeption hatten wir schon damit gerechnet, dass sich hier eine Agenturszene entwickeln würde, dass dort Menschen hinziehen und sich da ein Leben entwickelt. Das ist ja nie eingetreten. Dieses nicht existente Tagesgeschäft-Publikum hat uns dann gefehlt, gerade in der Gastronomie. Da hatten wir eine andere Vision.

Der Marke Cocoon hat die Schließung des Clubs auch keinen Abbruch getan. Auf Ibiza ging es steil bergauf für Sie und auch die internationalen Auftritte wurden mehr und mehr.

Nach der Schließung des Cocoon Clubs haben wir unsere ganzen internationalen Aktivitäten forciert, wirklich rund um den Globus bis nach Argentinien. Und Ibiza lief großartig für uns, viele Jahre lang. Da haben wir erst im Jahr 2019 unseren Abschluss gefeiert – mit einem Konzert von Kraftwerk und Underworld. Das war natürlich das i-Tüpfelchen. Aber es ist auch immer schön, hier in Deutschland zu spielen. Kleinere wie größere Festivals, Clubshows in Berlin oder dem Robert Johnson. Aber ich muss in meinem Terminkalender Prioritäten setzen. Es gibt auch Länder, wo es richtig funkt, zum Beispiel Argentinien, die gehen gerade total ab auf den Sound. In Amerika – Nord wie Süd – bewegt sich für elektronische Musik gerade richtig was.

Als einer der wenigen DJs, die bis heute ausschließlich Vinyl-Platten spielen – wie schaffen Sie es, bei einem derart vollen Terminkalender noch Platten kaufen zu gehen und auf dem Laufenden zu bleiben?

Ich habe einen sehr rührigen Mitarbeiter, Ingo Boss, der mein Archivar ist. Ingo hat ein Budget von mir und geht damit in den Plattenläden einkaufen, schnürt mir alle 14 Tage ein Päckchen und schickt mir das dorthin, wo ich gerade bin. Daraus selektiere ich meine Platten, die ich spielen möchte und den Rest verschenke ich. Mir ist wichtig, dass ich die Platten auch wirklich kaufe, damit ich die Künstlerinnen und Künstler und Labels unterstützen kann.

Mittlerweile wird es ja wieder beliebter unter den DJs, nur noch Platten aufzulegen.

Ja, das ist interessant, dass das jetzt wieder wichtiger wird. Natürlich ist das auch logistisch aufwendig. Ich habe gerade in Tulum im Dschungel gespielt, da haben mich die Leute schon komisch angeschaut, dass ich da mit dem Plattenkoffer durch den Wald gestapft bin. Aber letztendlich wollten dann doch alle sehen, wie ich das mache. Da bin ich froh, dass ich es die ganze Zeit durchgezogen habe. Abgesehen vom Sound und dem damit verbundenen Statement ist es auch ein sehr gut funktionierender Filter für mich, wenn ich die Stücke auswähle, die ich spielen will. Ich höre mir nur an, was auch auf Vinyl veröffentlicht wird, was also ein Premium-Produkt des Labels ist. Was nur digital kommt, höre ich mir gar nicht an. Vinyl ist schon so unglaublich viel und wird immer mehr, auch die Technik zieht nach, es gibt mit dem MK-7 wieder neue Plattenspieler, der ganze Markt wird wieder belebt. Uns als Label ärgert das sogar, weil jede Indie-Band, jede Jazz-Band, Abba und Lady Gaga jetzt auch ihre Musik wieder auf Vinyl veröffentlichen wollen, weil es ja hip ist. Und die belegen jetzt die ganzen Presswerke und wir müssen lange warten, bis wir unsere Musik auf den Markt bringen können. Also die ganz wenigen verbliebenen Presswerke, die trotz der Digitalisierung von Musik noch auf dem Markt sind.

Wie oft müssen Sie eigentlich Ihren Plattenkoffer noch von A nach B bewegen? Immer noch so viel wie vor ein paar Jahren?

Also bis vor Corona habe ich immer noch 120 Gigs pro Jahr gespielt. Im Sommer erhöht sich die Taktzahl. Im Winter bin ich meist in Asien unterwegs, im Herbst auf Ayurveda-Kur. In meiner Freizeit, vor allem im Urlaub, habe ich nicht so gern viele Menschen um mich, das habe ich ja das ganze Jahr über genug. Durch den Lockdown hatte ich dann endlich mal Zeit und es sind wieder tolle Dinge entstanden. Das Album, das Buchprojekt und jetzt ja auch noch die Ausstellung im Momem. Das hat echt gut getan und 2022 ist ein großes Jahr für mich. Auch wegen des 40-jährigen Jubiläums.

Ein Highlight war ja auch die Time Warp im Jahr 2016…

Sie meinen meine „Gude Laune“-Speech?!

Ja, genau die. Hat die Ihnen eigentlich eher geschadet oder genutzt?

Hm. Ich würde sagen, die hat mir schon eher was gebracht. Ich war eben total authentisch in dem Moment, das kam einfach aus mir heraus, war nicht kalkuliert. Wichtig war, dass ich das einfach habe so stehen lassen. Hinterher kamen alle möglichen Leute und haben gesagt, ich solle daraus T-Shirts machen, einen Gude-Laune-Track machen und was weiß ich was alles. Ich habe das aber alles abgelehnt und das war echt gut so. Das war aus dem Moment und für den Moment. Das Internet hat das ja zum Glück alles bewahrt, das wurde oft zitiert.

Ich denke, das hat viel zur Legendenbildung beigetragen.

Ich bin einfach der, der ich bin. Auf der Bühne wie privat. Daher habe ich mir auch nie ein Pseudonym gesucht. Wenn ich dann als DJ auf einer Party bin, dann erwacht immer eine besonders energetische Seite von mir, dann bin ich schon in einer besonderen Sphäre. Deshalb improvisiere ich auch so gern, spiele gern lange Sets. Ab sechs, sieben, acht Stunden wird’s erst interessant. Dann kann ich mich einfach treiben lassen, vier Plattenkoffer offen und einfach das Gefühl regieren lassen. Manche Sets waren auch bis zu 15 Stunden lang, zum Beispiel im Robert Johnson oder im Watergate in Berlin, aber auch in Tokio. Bei kürzeren Sets, so zwei Stunden, mache ich mir vorher Gedanken, was die DJs vor mir oder nach mir spielen. Ich bin deshalb auch gern früher da und spüre den Vibe, dann habe ich einen groben Fahrplan im Kopf. Einige Platten, die ich als Höhepunkte spielen will, die weiß ich dann schon. Aber ich lasse mir auch gerne Zeit, nehme erst mal den Druck raus und ziehe ihn die erste halbe Stunde wieder an. Das hat eine andere Energie. Bei längeren Sets wissen die Leute auf der Party auch, dass sie sich in den Abend treiben lassen können, dass es eh länger geht. Dann lassen sich die Menschen gehen und fliegen mit der Musik mit. Da zückt dann keiner mehr die Handys, da muss nichts sofort mitgeschnitten und sofort geteilt werden. Ich möchte, dass die Menschen die Musik und mich so pur wie möglich erleben.

Interview: Arne Löffel

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