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Johannes Brecht: „Clubmusik ist Freizügigkeit“

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Von: Arne Löffel

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„Musik muss eine Klarheit in sich tragen, nicht per se eine Botschaft“, sagt Johannes Brecht. Foto: Diynamic
„Musik muss eine Klarheit in sich tragen, nicht per se eine Botschaft“, sagt Johannes Brecht. © Diynamic

Johannes Brecht mäandert nicht nur auf Solomuns Label Diynamic zwischen Club, Jazz und Klassik. Ein Gespräch über Werdegänge, Kommunikation – und echte Hausmusik.

Herr Brecht, Sie haben unlängst die zehnte Folge der vielbeachteten Diynamic-Picture-Disc-Reihe veröffentlicht. Das ist eine große Ehre auf einem nicht minder großen Label. Aber über die Person Johannes Brecht ist im Netz so gut wie nichts zu finden. Das ist ungewöhnlich in diesen Tagen.

Ja, ich weiß. Ich halte nicht viel von sozialen Medien und versuche auch, Musik und Person in der Öffentlichkeit zu trennen. Mein Privatleben hat in sozialen Medien nichts zu suchen. Ich nutze das nicht mal zur Kommunikation, habe kein Whatsapp und auch ein grundlegendes Misstrauen gegenüber den Dynamiken der sozialen Medien. Unter Promotion-Aspekten müsste ich das natürlich besser pflegen, aber ich denke, dass mich die Menschen wegen meiner Musik gut finden sollen, nicht wegen meiner Kommunikation.

Mit Diynamic-Labelchef Mladen Solomun haben Sie ja zumindest einen wichtigen Player von und mit Ihrer Musik überzeugt. Ich habe gehört, er habe sich stark dafür eingesetzt, dass Sie die Nummer 10 der Picture-Disc-Reihe machen. Was ist das Konzept der Veröffentlichung?

Die Diynamic-Reihe will die künstlerische Bandbreite eines Acts dokumentieren, also habe ich alte und neue Sachen kombiniert. Es freut mich sehr, dass Mladen Solomun so überzeugt von meiner Arbeit ist und wir stehen auch abseits der Musik in recht regelmäßigem und sehr angenehmem Austausch. Der Track „Currency“ zum Beispiel ist ja auch auf Mladens Set zu finden. Thematisch hängen die Stücke auf der Picture Disc alle zusammen, das war mir auch wichtig. Es geht um die Sehnsucht nach romantischer Liebe, auch um einen christlichen Ansatz der Liebe. Da war die Zusammenarbeit mit Kat Vinter, der Sängerin auf „Currency“, geradezu perfekt. Ich habe ihr gesagt, dass ich mir irgendwas mit Liebe und Geld gewünscht habe, das hat sofort gepasst. Und auch die Arbeit mit Fetsum für die EP war großartig. Er ist Stuttgarter wie ich und wir kennen uns schon länger. Er hat ja auch einen sehr sozialen Ansatz in seinem gesamten Werk. Das finde ich natürlich super, wir sind da ganz ähnliche Typen.

Ist denn die Botschaft der Nächstenliebe der rote Faden, der sich durch Ihr Werk zieht?

Es steckt nicht immer, aber meistens etwas hinter meinen Stücken. Und ja, Liebe, christliche Nächstenliebe, ist für mich schon seit meiner Kindheit ein wichtiges Thema. Hier findet sich auch eine gemeinsame Ebene mit Mladen Solomun, der wie ich aus einem traditionell christlichen Haushalt kommt. Meine Mutter ist Religionslehrerin, meine erste Band war eine Kirchenband, Messen und Oratorien haben mich musikalisch geprägt. Gleichzeitig hat Hausmusik in meiner Familie immer eine große Rolle gespielt, daher wollte ich schon früh professionell Musik machen und habe schließlich Kontrabass studiert. Mein erstes Instrument war aber ein Casio-Keyboard, auf dem ich schon früh eigene Stücke komponiert habe. Also bilden Kontrabass und Piano mein musikalisches Herzstück.

Wie haben Sie dann den Weg von der klassischen Musik zur Clubmusik gefunden?

Meine erste Clubplatte habe ich 2013 bei Henrik Schwarz herausgebracht. Ich habe damals die klassische Umsetzung seiner technoiden Produktionen vorgenommen. Das alles war in den Anfangstagen der Neo-Klassik, wobei der Genre-Titel ja ein bisschen irreführend ist. Letztendlich ist Neo-Klassik eine Form der spätromantischen Musik. Ein bisschen verkitscht, wenn man es böse ausdrückt.

Wenn Sie heute Musik machen: Sind Sie eher Komponist oder Produzent?

Komponieren und Produzieren geht bei der elektronischen Musik Hand in Hand, das ist schwierig zu trennen. Ich komponiere fast ausschließlich am Klavier, Samples gibt es in meiner Musik so gut wie gar nicht. Ich versuche, alle Sounds selbst zu erarbeiten und aufzunehmen, in meiner Musik gibt es sehr viele akustische Instrumente, also ein traditionelles Recording. Nur für die Streicher lade ich mir Berliner Studiomusiker ein, den Rest mache ich selbst. Mein nächstes Projekt ist auch wieder ein echtes Band-Projekt, für das ich im November 2021 die Aufnahmen gemacht habe.

Hat Ihre Musik immer eine Botschaft, so wie die romantische Liebe auf der Diynamic 10?‘

Nein, definitiv nicht. Musik muss eine Klarheit in sich tragen, nicht per se eine Botschaft.

Zur Person

Johannes Brecht, geboren 1983 in Mutlangen bei Stuttgart, arbeitet mit elektronischer Musik. Er hat eine klassische Ausbildung.

Solomuns Label Diynamic hat ihn eingeladen, die zehnte Ausgabe von „The Picture“ zu bestreiten, einer Reihe, in der bereits Innellea, Tunnelvisions, Adana Twins und Moscoman vorgestellt wurden. „Picture: Johannes Brecht“ ist eine EP, die das Ziel hat, anhand von sechs aktuellen Tracks den Künstler zu präsentieren.

Können Sie sich denn an den Moment in Ihrem Leben erinnern, in dem Sie zum ersten Mal diese Klarheit in der Musik gespürt haben? Dieses transzendente Moment, das Musik auf eine andere kognitive Ebene hebt?

Tatsächlich kann ich das, das war bei einem Schulausflug in die Philharmonie Berlin. Wir saßen bei einem Mozart-Konzert hinter dem Orchester und da habe ich diese Transzendenz gespürt.

Mozart ist ja auch ein bisschen schwülstig, fast wie Neo-Klassik.

Oh nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Wirklich gar nicht. Mozart ist nicht schwülstig und verkitscht. Eher im Gegenteil. Die Reinheit dieses Moments in der Philharmonie ist für mich bis heute unübertroffen.

Kann Clubmusik diese Reinheit bieten?

Ich finde, elektronische Musik hat andere Qualitäten. Da geht es nicht um geistige Reinheit, sondern um Groove und Körperlichkeit, im Grunde um Freizügigkeit. Für mich ist diese Musik Ausdruck von Aktivität, von Selbstermächtigung. Da muss ich mich nicht an Noten halten, da bin ich mein eigener Herr und nicht nur ausführender Musiker. In der klassischen Musik gibt es viele starre Regeln, da wünsche ich mir mehr Offenheit für mein eigenes Musiker-Dasein. Das finde ich im starren Apparat eines klassischen Orchesters nicht. Schon gar nicht an einer staatlichen Bühne, wo die Musiker tatsächlich Beamte sind. Da gibt es Dienstpläne und Dienste für Proben und Aufführungen. Das ist nicht mein Ding.

Dennoch haben Sie unter anderem mit Henrik Schwarz an der Grenze zwischen elektronischer und klassischer Musik Pionierarbeit geleistet.

Ja, aber ich glaube, dass beide Welten nicht wirklich gut harmonieren. Die bloße Übersetzung der elektronischen Musik in die klassische Instrumentierung funktioniert meiner Meinung nach nicht gut. Musiker sind eben keine Maschinen, sie werden beim Spielen schlampig, wenn sie minutenlang denselben Ton spielen müssen. Ich war bei der Übersetzung der Musik ins Orchestrale damals auch etwas zu dogmatisch. Heute weiß ich, dass Musik noch viel weiter gehen muss. Außerdem ist es schwierig, den Moment der Energie durch die klassische Instrumentierung nicht zu zerstören.

Arbeiten Sie bei Ihren Live-Auftritten auch mit klassischer Instrumentierung?

Ein wirklich orchestrales Konzert hatte ich bisher nicht. Ich spiele aber sehr regelmäßig in einer Jazz-Formation, an der Live-Instrumente beteiligt sind – allerdings auch den elektronischen Part des Ensembles. Meine Solo-Sets sind hingegen rein elektronisch, das schlägt sich auch im Visual der Diynamic 10-Picture Disc nieder. Hier ist mein Gesicht als Vektorgrafik dargestellt, so dass man mich schon rudimentär erkennen kann. Es geht hierbei um die digitale Situation: Mein Inneres schaut aus dem digitalen Gesicht heraus, das ist auch Teil der Botschaft.

Haben Sie denn in den vergangenen Monaten überhaupt Gigs spielen können?

Im Sommer hatte ich zum Glück ein paar Gigs, zum Beispiel auf dem Exit Festival und auch Gigs mit Mladen. Das waren nicht viele, aber es war natürlich toll, dass das überhaupt möglich war. Ansonsten war während der Pandemie noch ein Stream für das Format „Arte Concerts“ mit meinem Trio und dem Motor City Drum Ensemble. Wir sind beide in Schwäbisch Gmünd zur Schule gegangen, daher auch der Stream aus Schwäbisch Gmünd. Aber als Familienvater und leidenschaftlicher Familienmensch ist es für mich nicht ganz einfach, viele Auftritte zu spielen und das exzessiv auszuleben. Familien- und Musikerleben sind sehr unterschiedlich getaktet, daher selektiere ich meine Gigs sehr sorgfältig. Mein Label Diynamic geht damit auch sehr verständnisvoll und sorgfältig um, das gefällt mir sehr an der Zusammenarbeit. Und vielleicht nutze ich jetzt die dadurch gewonnene Zeit, Hausmusik mit meiner Familie zu machen, so wie ich es als Kind erlebt habe.

Interview: Arne Löffel

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