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DJ Hell: „Was ich definitiv nicht kann, ist singen“

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Von: Arne Löffel

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Szenenfoto aus „Yung“.
Szenenfoto aus „Yung“. © Wild Bunch Filmverleih

DJ Hell über seinen ersten Soundtrack, die neue Berliner und die alte Frankfurter Club-Logistik und radikale Veränderungen im Musikgeschäft.

DJ Hell oder auch nur Hell (bürgerl. Helmut Josef Geier), 1962 im bayerischen Altenmarkt an der Alz geboren, ist Techno-, House- und Electroclash-DJ, international tätiger Produzent und Verleger elektronischer Musik. Er gründete das Label International Deejay Gigolos.

Zum Film „Yung“ von Henning Gronkowski hat er den Original Soundtrack geliefert, erschienen in diesen Tagen ebenfalls mit dem Titel „Yung“ beim Label The DJ Hell Experience. „Yung“ ist das Porträt von vier jungen Frauen, unterwegs in der Subkultur Berlins. 

Hell, nach rund 40 Jahren im Musikgeschäft und mehr als 200 Veröffentlichungen auf Ihrem Label Gigolo Records haben Sie nun zum Film „Yung“ Ihren ersten, gerade erschienenen Soundtrack vorgelegt. Ist Ihr Portfolio damit komplett?

Tatsächlich ist das gar nicht der erste Soundtrack, den ich bearbeitet habe. Ich war nominiert für die Filmmusik der Sky-Serie „8 Tage“. Er ist aber trotzdem nie veröffentlicht worden und die Produzenten der Serie haben mich dabei auch im Regen stehen lassen. Das war eine sehr lehrreiche Erfahrung, weil meine Arbeit am Projekt ohne Begründung abgesagt wurde.

Wie kam es dann, dass Sie sich noch einmal auf ein solches Projekt eingelassen haben?

Beim „Yung“-Soundtrack war ich vom ersten Tag in alles involviert und der Regisseur, Hennig Gronkowski, ist seit Jahren ein sehr guter Freund. Henning hatte mit seinem Mentor Klaus Lemke zusammengearbeitet und Rollen in seinen Filmen gespielt. Er hat mir von dem Projekt berichtet, Drehbücher vorgelegt und mich sofort dafür begeistern können. Henning ist ein sehr gewinnender, positiver, offener Typ und ich fand auch die Herangehensweise an das Thema interessant, war fasziniert davon, wie er die Leben von vier jungen Frauen aus der Partyszene in Berlin darstellen wollte. Der Film porträtiert tägliche Leben der Mädchen im Berliner Partydschungel, ungeschminkt, direkt und einfühlsam. Die Story dreht sich ja nicht nur um Partymachen, Musik und Drogen, sondern ist auch eine Liebesgeschichte.

Haben Sie sich also insbesondere wegen der Geschichte dazu entschieden, den Soundtrack zu machen?

Eher wegen den Menschen und der Story. Ich durfte auch mehr dazu beitragen, als mich nur um die Filmmusik zu kümmern. Wegen meiner Arbeit als professioneller DJ und meiner Kontakte im Berliner Nachtleben bekamen wir Drehgenehmigungen in Clubs organisiert.

Hell oder DJ Hell, bürgerlich Helmut Josef Geier.
Hell oder DJ Hell, bürgerlich Helmut Josef Geier. © Caroline Gierlinger

Nach Ihren vielfältigen Erfahrungen im internationalen Nachtleben, nicht erst seit dem Techno-Boom Mitte der 90er Jahre: Wie sehr hat sich die Party-Szene seitdem gewandelt? Ist Ihnen das in „Yung“ dargestellte Szenario aus Ihrer alltäglichen Erfahrung bekannt?

Die Szene hat sich radikal verändert und ist doch gleich geblieben. Einer der Hauptunterschiede ist, dass heute viel mehr unterschiedliche Doping-Substanzen im Umlauf und diese auch leichter zu beschaffen sind. Vieles von dem Zeug, was da im Film beschrieben wird, kenne ich als Aufputschmittel gar nicht mehr. Und ich finde es bemerkenswert, dass der Drogenkonsum auch längst die Partyszene und reine Drogenszene verlassen hat. Ich bin zum Beispiel ein großer Fußball-Fan und beobachte mittlerweile in Stadien, dass die Fans dort gerne Ketamin konsumieren, warum auch immer.

Losgelöst von der reinen Verfügbarkeit der Drogen – was macht das mit der Szene und der Musik?

Natürlich haben die Drogen einer Jugendkultur auch immer einen Impact auf die Musik. Der Einfluss ist aber nicht so groß, wie man allgemein glauben mag. An sich hat sich die Musik durch das größere Angebot an Narkotika, das es jetzt gibt, gar nicht essenziell verändert. Ein großer Unterschied zu früher ist, dass gerade in Berlin quasi rund um die Uhr an jedem Tag der Woche gefeiert werden kann. Das ist zum einen die offizielle Club-Logistik, die das ermöglicht. Also dass es Clubs gibt, die gezielt dann am Vormittag öffnen, wenn ein anderer Club schließt. Aber viel relevanter gerade für die jüngeren Leute sind private Pre- und After-Partys, wo sich große Freundeskreise zum gemeinsamen Feiern treffen und von dort aus Underground-Partys besuchen. Das ist die Szene, in der sich der Film bewegt. Die Protagonistinnen sollen im Film ja alle 17 Jahre alt sein, in Berlin darf man aber erst mit 21 in die etablierten Clubs. Daher spielt sich im Film auch vieles auf privaten Partys ab. Hier gibt es keine Limits mehr, die Zeit scheint stehen zu bleiben und manchmal wissen die Partygäste auch nicht, welcher Tag gerade ist. Und jeder für sich denkt, man hat alles im Griff. Ein gefährlicher Trugschluss, wie ja der Film auch anschaulich darstellt.

Wo Sie ja beruflich noch viel in Clubs unterwegs sind: Kommen Sie häufig mit Menschen in Kontakt, die so sind, wie die Frauen im Film?

Mein Terminplan ist am Wochenende quasi stündlich durchgetaktet und nach dem Gig im Club geht’s sofort weiter ins Hotel oder zum nächsten Auftritt. Außerdem war ich auch nie ein großer Freund von Afterhours. Mir hat das noch nie sonderlich behagt. Eine kleine Ausnahme gab es in den 90er Jahren aber tatsächlich in Frankfurt. Nach dem Omen ging’s immer noch ins Dorian Gray. Pflichttermin bei Großmeister DJ Dag. Und nach dem Gray sind einige dann weitergezogen in die Körnerwiese, da wohnten ein paar Leute aus der Szene. Da hat man sich eben getroffen, sehr privat. Aber, gerade im Vergleich zu heutigen Afterhours, auch sehr überschaubar.

Auf dem Soundtrack sind ja auch einige Darstellerinnen und Darsteller des Films zu hören. Die Mehrheit der Tracks steuert McNZI bei, der auch im Film zu sehen ist. Wie kam denn da eins zum anderen und Sie zu der Musik von McNZI?

Die Schauspieler wie auch die Musiker sind alle Teil eines großen Freundeskreises um Henning Gronkowski. Es war ein echter Glücksfall, mit ihnen in Kontakt zu kommen. McNZI (Kollega) zum Beispiel ist so ein außerordentliches Talent, das sich auch in keine Schublade stecken lässt. Er verbindet Techno mit Rap und Post Punk mit New Wave zu einer unglaublich modernen, authentischen Musik, das ist the new sound of Berlin. Seine Produktionsweise ist schnell, spontan und direkt und er hat einen immensen Output. Da sind bestimmt 40, 50 Stücke, die gar nicht veröffentlicht sind, die er dann auf Afterhours in seinen DJ-Sets performt.

Was passiert denn mit dem ganzen Material?

Die releasen alles auf Instagram oder SoundCloud und das genügt dann schon. In den etablierten Kategorien wie Single, Album, Promo, Tour, Marketing denkt da niemand mehr. Das Musikbusiness hat sich an dieser Stelle radikal gewandelt.

Und womit verdienen die jungen Musiker dann noch Geld?

Mit ihren Auftritten. McNZI hat mehrmals pro Woche Gigs in Clubs und das Potenzial, in naher Zukunft große Festivals zu spielen. Große Aufmerksamkeit verdient die Sängerin Vegas by Night. Sie ist für mich stimmlich sehr nahe Nico, von Velvet Underground. Bei Vegas sehe ich auch unglaubliches Potenzial, sie hat aber bisher nur wenige Stücke veröffentlicht und ist in der Berliner Kunst-Szene beheimatet. Mit ihr würde ich gerne enger zusammenarbeiten und 2020 ihr erstes Album supporten.

Können Sie sich vorstellen, Stücke von McNZI oder Vegas by Night auf Gigolo Records zu publizieren?

McNZI ist Teil des Künstlerkollektivs Live From Earth. Trotzdem wird auch Gigolo Records einen Anteil an der Zukunft von McNZI haben. Er lässt sich mit seiner Kreativität einfach nicht kategorisieren und das passt sehr gut zu meiner neuen Definition von Gigolo Records. McNZI ist ein neuer Impuls für die elektronische Musik, eine Art Post-Techno. Und alles ist erlaubt. So war es auch immer bei Gigolo Records seit 1996.

Wieso haben Sie eigentlich den „Yung“-Soundtrack nicht auf Gigolo Records veröffentlicht, sondern auf Ihrem neuen Label „The DJ Hell Experience“?

Eigentlich wollte ich den Soundtrack auf Gigolo veröffentlichen, hatte aber Probleme mit dem Vertriebspartner. Es war also eine rein geschäftliche Entscheidung, keine inhaltliche.

Wollen Sie dann auch noch mehr Soundtracks produzieren?

Ja, das würde mir schon Freude machen. Ich bin da wegen der Sky-Geschichte aber noch etwas vorsichtig. zum anderen mache ich ja viele Mode- und Kunstprojekte in die Richtung, wie jetzt mit Balenciaga in Paris.

Für welche bekannten Filme hätten Sie denn gern die Musik geliefert?

Hmmmm… Sehr gelungen finde ich den Soundtrack von „Driver“ mit Ryan Gosling. Hier wurde eine sehr klinische elektronische Italo-Eighties-Soundästhetik verwirklicht, die mir sehr gefällt und perfekt für den Film geeignet war. Oder „Tron Legacy“, für den ja Daft Punk den Soundtrack produzierten mit einem großen Orchester. Oder natürlich „Blade Runner“ mit Vangelis.

Was ist so faszinierend an der Soundtrack-Produktion?

Hier passieren tolle magische Momente, wenn auf den Monitoren im Studio der Film läuft und ich die Musik genau auf die Bilder anpassen kann. Zu „Yung“ habe ich auch Tracks meines jüngsten Albums „Zukunftsmusik“ beigesteuert und die in Re-Edits direkt an die Bilder angepasst. Das ist eine weitere Dimension für mich als Musiker.

Sie haben Ihren künstlerischen Kosmos ja in Gerrit Starczewskis Film „Pottoriginale“ auch als Schauspieler vor der Kamera erweitert.

Stimmt. Hier spiele ich einen alternden Schlagerstar und im zweiten Teil des Films singe ich auch. Ich wollte hier einen komplett verlorenen Loser spielen, und der Song ist so nah an aktuellen Billig-Schlager-Produktionen, dass manche den schon wieder gut finden.

Sehen Sie sich in Ihren Albträumen schon als Schlageronkel im Bierkönig?

„Lass mich die Luft in deiner Lunge sein – ich komm auch durch die Zunge rein“ hat schon großes Hit-Potenzial, wird zum Glück aber nur im Film performt und spiegelt ja nicht die reale Welt wider. Was ich definitiv nicht kann, ist singen.

Interview: Arne Löffel

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